An einem Donnerstag wird in Frankreich die Schließung der Schulen angekündigt. Am nächsten Tag fragen wir den Hafenmeister, ob er das Büro irgendwann schließen wird. Er lacht nur und meint, dass das kein Problem sein wird. Seine Frau sei Lehrerin und wird jetzt kaum noch arbeiten, aber er bleibt hier und alles ist normal. Er phrasiert noch irgendwas von „viel Rotwein hilft“ und dass „Franzosen hart im Nehmen sind“. Perfekt für uns, denken wir, da wir ohne offenes Hafenbüro keine Pakete mehr bestellen könnten. Die schicken wir nämlich zum Hafenbüro, da sich die Postboten wahrscheinlich nicht so über „Steg B und dann am Ende das blaue Boot“ freuen würden. Am folgenden Samstagabend hält der Präsident seine berühmte Ansprache. Er verkündet die Ausgangssperre und ruft den Krieg gegen den Virus aus. Na gut nun dürfen wir also nur noch mit einem Zettelwisch raus, auf dem wir eidesstattlich erklären, dass wir aus einem der wenigen erlaubten Gründe vor die Tür gehen. Jedes Mal brauchen wir einen neuen Zettel… so weit so klar.
Am Montagmorgen klopft der Hafenmeister ganz kleinlaut an unserem Fenster. Er entschuldigt sich vielmals aber das Büro würde jetzt wohl doch geschlossen werden. Sein Rotwein-Argument erwähnt er nicht mehr. Wir decken uns noch mit Waschmarken zum Wäsche waschen ein. Zum Glück bleiben die Sanitäranlagen offen. Das war‘s dann mit unseren Paketen. Wir haben zwar schon ein paar Dinge bestellt und zum Glück auch schon erhalten, aber die Materialien für die richtig großen Projekte wie Gas und Elektrik fehlen noch. Das ärgerte uns zuerst ziemlich, da wir die Zeit hier gern nutzen würden. Aber uns fallen bestimmt noch genug „Kleinigkeiten“ ein, die auch alle ihre Zeit benötigen.
An dem besagten Montag mache ich mich auf den Weg zur Post. Am Wochenende sollte nämlich endlich ein neues Paket mit Islandwolle angekommen sein. Leider ist das Hafenbüro am Wochenende geschlossen. Naja, dann würde es wohl einfach einen zweiten Zustellversuch am nächsten Tag geben, dachte ich. Aber falsch gedacht. Das Paket war als „falsch adressiert“ im Trackingsystem registriert worden. Zum Glück hatten wir schnell reagiert und konnten es noch umleiten lassen in eine Postfiliale um die Ecke. Also radele ich mit meinem Abholschein auf dem Handy zur Post in der Hoffnung, dass diese trotz jetzt geltender Ausgangssperre geöffnet hat. Informationen gibt es online dazu noch nicht. Dort angekommen sehe ich einen handgeschriebenen Zettel, dass die Filiale heute erst um 11 Uhr öffnet. Verständlich, denn man muss sich bestimmt erstmal sortieren. Ich feiere innerlich, da ich deutlich später als geplant losgefahren bin und so erst 10.50 Uhr vor der Post stehe. Ich hätte auch noch den ganzen Tag gewartet. Nach dem ganzen Hin und Her wollte ich endlich einfach die Wolle in den Händen halten und Pullis stricken. Um 11 Uhr kommt eine Frau aus der Filiale mit einem neuen Zettel. Leider habe ich keine Ahnung was die französischen Worte heißen sollen. Schnell ins Handy gehackt: „ bis auf Weiteres geschlossen“! Na super. Ich versuchte der unfreundlichen und nicht ein Wort Englisch verstehenden Frau die Info zu entlocken, was mit meinem Paket passieren würde. Ich fühlte Enttäuschung, Trauer und Verzweiflung zugleich. Da stand ich nun nur eine dünne Tür von meiner mich für einige Tage beschäftigt haltenden Wolle entfernt und die Frau guckte mich einfach nur abwertend und genervt an. Versteht mich bitte nicht falsch. Alles natürlich gar nicht schlimm und jeder muss im Moment Abstriche machen. Aber es toben gerade starke Gefühle in mir. Ich hatte auf dem Rückweg noch Zeit etwas zu schmollen. Mittlerweile stellt sich raus, dass die französische Post wohl noch arbeitet aber nur wenige Filialen offen haben. Mein Paket solle ein paar Tage später laut Trackingpfad wieder nach Deutschland geschickt werden. Naja wer will im Sommer schon Islandpullis tragen…
Habe ich schon von dem australischen Pärchen erzählt, dass einen Steg weiter wohnt? Dani und Alyn. Die beiden sind ein witziges Gespann. Wir hatten ihn schon mal an Bord und er erzählte uns eine spannende Geschichte nach der anderen. Sie ist eine sehr offene und bunte Person und ihre Accessoires und Lebensfreude sind der Hammer. Zu Besuchen auf ihrem Steg wurden wir vor der Ausgangsperre mit Bier und Steaks gelockt. Die beiden sind bestens ausgestattet und haben anscheinend nicht nur einen Kühlschrank, einen Drucker und eine Waschmaschine sondern auch einen vollgestopften Tiefkühlschrank voller Fleisch. Man weiß ja nie wegen Corona. Nicht das einem das rote Fleisch noch ausgeht 😉 Wir sind jedenfalls ziemlich neidisch wenn wir aus unserem 2m2 Salon auf ihre geräumige Langfahrtyacht rüberschielen.
Die beiden sind früher viele Regatten gesegelt – unter anderem das äußerst anspruchsvolle Sydney-Hobart-Race – und wohnen nun auf ihrer umgebauten Regattayacht. Ein beeindruckendes Teil, auch wenn ich sie dank Corona noch nicht von innen ansehen konnte. Die beiden wohnen schon seit rund 10 Jahren auf ihrem Boot und sind seit einigen Jahren in der Weltgeschichte unterwegs. Von Australien in die Karibik, dann ins Mittelmeer und nun wollten sie im Sommer den Schengenraum auf dem Binnenweg kennenlernen. Beeindruckend! Die Yacht hat einen Hubkiel, den man hochziehen und somit verkürzen kann. Sonst würde es für so eine so große Segelyacht eher schwierig werden in den kleinen Kanälen. Die beiden haben schon so einiges hinter sich. Zu einigen Abenteuern wie schweren medizinischen Notfällen, Schwerwetterlagen und anderem Hickhack kommen nun auch noch Visaprobleme wegen des Feststeckens dank Corona. Wie komme ich jetzt auf die Beiden?
Ach genau sie hat mein Wolledilemma mitbekommen und gleich einen ganzen Packen Wolle rausgekramt, die sie sich auf Sizilien gekauft, aber seitdem nicht angerührt hat. Sie schenkt mir die Wolle, damit ich was zu tun habe. Außerdem drucken sie uns noch einige der Formulare für uns aus, die man zum Einkaufen ausfüllen muss. Die beiden sind einfach so lieb. Aufjedenfall stricke ich jetzt wie verrückt Mützen (ich weiß jetzt ist erstmal Sommer) und eine besonders bunte und verrückte bekommt Dani meine liebe Wollspenderin. Im Moment schaffe ich eine Mütze am Tag. Also ist die Wolle auch bald wieder alle..;)
Wirklich schade, dass wir gerade nicht richtig zusammen sitzen können. Wir paddeln manchmal mit dem Schlauchboot rüber. Aber dann bleiben wir brav in Kevin sitze und schnacken einfach mit ihnen. Wir vier sind sehr vorsichtig unter anderem weil nicht selten an der Straße direkt beim Stegausgang ein Polizeiauto steht und alle kontrolliert.
Auf unserem Steg hingegen schmeißen die Franzosen hier kleine Partys. Generell ist der Hafen deutlich voller geworden seit der Ausgangssperre. Klar wollen die Franzosen ihre Zeit lieber auf ihrem Motorboot (aber auch einigen Segelbooten) verbringen als in ihrer Wohnung. Zum Glück schließen die Marinas hier nicht so ganz. Die Büros sind zwar nicht besetzten und generell die Sportschifffahrt verboten, aber Strom und Wasser bleibt an. In Kiel sind ja alle Häfen zu und sowieso leer, da die Boote noch nicht reingekrant werden konnten. Aber hier in Frankreich ist es viel normaler und auch legal auf einem Hausboot dauerhaft zu wohnen und dies als seine Adresse zu führen. Daher haben wir noch Wasser und Strom und können hier bleiben und uns wenn nötig eine Existenz aufbauen 😉 . Generell helfen sich die Leute aus unserer kleinen Stegclique viel. Ob es mit Gesprächen, Büchern, Reparaturtipps, Werkzeugen oder Lebensmitteln ist.
Ich habe unsere Einkaufsstruktur (wohlgemerkt ohne wirklichen Kühlschrank) etwas angepasst, sodass wir so wenig wie möglich
(alle 12 Tage ungefähr) einkaufen müssen. Ein Supermarktbesuch ist jedes Mal etwas beängstigend und zählt daher gerade nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
Der letzte Einkauf gestaltete sich aber ziemlich witzig. Wir schnappten unseren Handwagen und zwei Ikeatüten und stapften zum Supermarkt. Da erfuhren wir dann, dass man nur allein und nicht zu zweit einkaufen dürfte. Mist. Also noch einen Einkaufswagen geschnappt und im „wir-kennen-uns-nicht-Sicherheitsabstand“ in den Laden gelaufen. Ich habe den Einkaufszettel und schiebe Paul per Whats-App Aufträge zu. Das war schon wieder ziemlich ulkig. So durch den Laden zu schleichen und vorzugeben sich nicht zu kennen. Wie Geheimagenten mit hypergeheimer Mission – in diesem Fall irgendwas zwischen Brokkoli und Käse!
Mitte März 2020