Hafenleben pur

Unser letzter Beitrag ist schon wieder zwei Wochen her, gefühlt habe ich ihn aber vor zwei Tagen veröffentlicht. Die Zeit verfliegt und doch passiert so wenig. Wir haben mittlerweile einen Monat Ausgangssperre und es kommen noch mindestens 3 Wochen. Frankreich steckt gerade mitten im Coronachaos samt überlasteter Krankenhäuser. Es war schon klar, dass die Ausgangssperre wohl nicht am 19.04 einfach enden würde, aber die Verlängerung um einen ganzen Monat hat mir schon nochmal zugesetzt. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Zu groß war der Wunsch sich mal wieder etwas freier bewegen zu können. Einen Spaziergang, eine Wanderung oder die Hängematte im Park nebenan aufspannen. Mal was anderes sehen als unseren Steg. Aber was muss das muss. Man möchte ja immer gern das was man nicht haben kann. Wir haben so viele Berichte und Blogbeiträge von Langfahrtenseglern auf der ganzen Welt gelesen, bei denen die Kacke wirklich am Dampfen ist. Segler die nach der Atlantiküberquerung in keinem Hafen aufgenommen oder wieder in ihre Ankerbuchten gescheucht wurden. Aber auch einige europäische Fälle. Segler die in superteuren Häfen im Mittelmeer festhängen und nicht auslaufen dürfen oder generell ihr Boot nicht verlassen dürfen. Deshalb sind wir bei all dem eventuell täglichen Gejammer über mangelnde Bewegung oder Abwechslung trotzdem dankbar.

Dankbar, dass die Schleuse kaputt war und wir nicht schon im Mittelmeer und seinen teuren Häfen oder Frühjahrstürmen sind.

Dankbar, dass wir nicht noch in vorherigen Kanälen irgendwo im nirgendwo feststecken mit keinem Supermarkt geschweige denn Elektrizität oder einem Hafen in der Nähe.

Dankbar, dass wir einen so schönen Hafen in unserer Nähe hatten und dort festgemacht haben. Natürlich ja eigentlich wegen der geschlossenen Schleuse. Diese ist übrigens wieder heile. Zwar auch etwas später als angekündigt aber nun fahren wieder dicke Schiffe auf der Rhône und erinnern uns durch ihre schaukelnden Wellen daran, dass wir auf einem Boot leben.

Dankbar, dass wir den Hafen bezahlen können und beim Warten nicht komplett finanziell abbrennen.

Dankbar, uns nicht um unsere Existenzen sorgen zu müssen.

Dankbar, so viele nette und hilfsbereite Stegnachbarn zu haben und somit nicht zu vereinsamen.

Dankbar, nicht in einer kleinen Wohnung ohne Balkon hocken zu müssen.

Dankbar, ganz am Ende des Stegs zu liegen und nur Bäume und sehr viele Vögel neben uns zu haben. Dankbar, immer noch Kleinigkeiten am Boot basteln zu können. Auch wenn die großen Projekte auf Eis liegen, da die Post gerade nur zaghaft in Frankreich funktioniert, ist es doch auch schön immer ein Stück mehr am Boot zu erschaffen und zu verbessern. Also alles in allem haben wir einfach verdammtes Glück gehabt.

Aber natürlich vergisst man das auch mal ab und zu und ist einfach nur unzufrieden, überfordert, unmotiviert und genervt. Also mir geht es jedenfalls so. Die Perspektive fehlt einfach. Wir haben keine Ahnung wie es weiter geht mit unseren Plänen. Wir reden zwar viel darüber aber kommen doch immer wieder zu dem Schluss, dass sich das jetzt eh noch nicht sagen lässt. Keiner weiß wie lange das noch geht und vor allem wann es wieder erlaubt ist mit Sportbooten unterwegs zu seien. In Norddeutschland sind die Segelboote noch nicht mal ausgewintert. In Frankreich ist es untersagt mit dem Sportboot unterwegs zu seien. Als mal sehen, wann wir uns theoretisch wieder bewegen dürfen. Wenn das absehbar ist, können wir mal realistisch darüber nachdenken was so drin ist und was nicht. Aber bis dahin tüftelt man irgendwie an seinem Boot rum und hängt einfach viel ab. Wir versuchen uns immer wieder zu motivieren aber meist fällt das wirklich schwer. Schließlich hat man ja Zeit… Ein ziemlicher Kontrast zu unseren letzten 6 Monaten, in denen wir bemüht waren schnellstens voran zu kommen und zumindest am Anfang jeden Pausentag genau abwägten. Jeder Tag war voller Action, Aufgaben und Herausforderungen. Und nun sind unsere Tage das reinste Gegenteil. Vielleicht auch eine kleine Lehre, dass wir vorher zu viel wollten. Manchmal habe ich das Gefühl mich immer noch davon zu erholen. Von der ständigen Spannung und auch dem hinterher eilen eines Ziels, dass jetzt so weit weg zu sein scheint wie noch zu keinem Zeitpunkt unserer Reise (obwohl wir geografisch ziemlich nah dran sind). Wir haben viel Zeit zum Denken, Ergründen und Hinterfragen.

Aber auch viel Zeit die Dinge zu machen, die wir bisher vernachlässigt haben. Die Ukulele wird endlich mal so richtig herausgefordert statt nur ignoriert. Ich bemühe mich die geschenkte Wolle sinnvoll zu verstricken.

Aus zerschnittenem grünen Krepppapier, pinken Partytellern, der geschenkten Wolle und mit Rotkohl und Kurkuma gefärbten Eiern haben wir kleine Osternester für unsere Stegnachbarn gebastelt. Aus lauter Langeweile wollte Paul auch mit häkeln. Schon bald saß er mir mit hoch konzentriertem Gesichtsausdruck und vor sich hin brabbelnd gegenüber und arbeitete an einem gehäkelten Häschen. Nun was soll ich sagen er scheint seine Lockdown-Passion gefunden zu haben. Es folgten die obligatorischen Topflappen und ein Eierwärmer. Ich hab langsam Angst um meine Wollreserven. Am Ostersonntag stellten wir den Wecker auf 6 Uhr um die Nester auf den Booten der anderen zu verstecken, damit sie morgens eine Überraschung vorfinden. Als langsam Leben in den Hafen kam beobachteten wir von unseren Fenster aus wie unsere vier Nester entdeckt wurden. Das hat wirklich Spaß gemacht und die anderen haben sich sehr gefreut. Von unseren Australiern haben wir auch ein Osternest mit Schokolade bekommen.

Es tut wirklich gut zu wissen, dass wir nicht die einzigen festgesetzten Nichtfranzosen hier im Hafen sind. Tatsächlich sollte der Hafen für einige dieses Frühjahr der Ausgangspunkt einer Reise sein. Zuerst dachten wir, dass nur wenige hier aufs Losfahren warten aber es kristallisiert sich immer mehr heraus, dass auch einige die hier schon einige Jahre an ihrem Boot arbeiten, um es startklar für eine Langfahrt zu machen, ausgerechnet dieses Jahr starten wollten. Also sitzen wir alle im gleichen oder zumindest ähnlichen Boot… höhö.

Ja was gibt es sonst noch zu erzählen, wo doch so wenig passiert?

Es war mal wieder Waschtag. Leider ist die Waschmaschine im Hafen kaputt und daher ist Paul in den Waschsalon getrottet. Zum Glück sparen wir uns bei dem Wetter den teuren Trockner! Außerdem haben wir Friseur gespielt. Trotz Lachanfällen meinerseits und unsicheren Blicken von Paul haben es alle Ohren überlebt…

Da musste jemand Haare lassen.

Wir haben wieder Internet. Eine Zeit lang war uns nicht ganz klar, wie wir an eine neue Simkarte für unser monatliches Internet kommen sollten. Der nächste Automat für so eine Simkarte steht in Vienne und das ist 12 Kilometer entfernt. Die Radwege entlang der Rhône und alle Parks sind gesperrt und außerdem stehen an den Ortseingängen oft Streifenwagen und kontrollieren. Wir sahen nicht wirklich eine legale Möglichkeit mit dem Rad nach Vienne zu fahren, zu mal unser Französisch nicht wirklich verhandlungssicher im Falle einer Kontrolle gewesen wäre. Außerdem würden wir gern kein Aufsehen erregen und uns brav unter dem Radar bewegen. Schließlich wollen wir möglichst lange bei Scarlett bleiben. Zum Glück blieb uns der Weg erspart, da man den Internetvertrag jetzt online ohne neue Simkarte verlängern kann. Das war wirklich eine Erleichterung. Denn für das Hafenwlan muss man manchmal einigen Einsatz zeigen, damit es irgendwie funktioniert.

Auf Netzsuche

Außerdem erlebt unser Kevin alias Big Kev alias Schlauchboot jetzt seine Glanzzeit. Wir haben ihn in die Liegebox neben uns verholt und nutzen ihn nun als kleine Auszeitinsel. Hier drin hat man mal seine Ruhe vor den Bootsmitbewohnern (ja so ein Bedürfnis soll wohl manchmal aufkommen), man kann ein Buch lesen, in Ruhe Sprachnachrichten beantworten oder einfach kurz das Gefühl von einem anderen Ort genießen. Auch Abendessen bei Sonnenuntergang machen sich ausgezeichnet darin.

Während Paul sich weiter um die hoffentlich endgültige Montage des Bugspriets kümmert und die letzten Leinen neu spleißt, schraube ich weiter alles holzige an Bord ab, schleife es per Hand und öle es mit Leinöl. Das macht einen riesigen Spaß und ist wirklich eine langwierige Angelegenheit, da bis zu vier Schichten aufgetragen werden und das von beiden Seiten über mehrere Tage hinweg. Also bin ich vollends beschäftigt – 30 Minuten am Tag 😀 Und die Ergebnisse sind super schön.

Ach ja das Einkaufen war auch wieder ein Highlight. Da wir nur alle zwei Wochen gehen, sind unsere Einkaufstaschen prall gefüllt und unser Handwagen dick bepackt. Das allein zu handhaben ist wirklich umständlich, weshalb wir lieber zu zweit einkaufen gehen wollen. Nach unserer Geheimagentenaktion beim letzten Mal, wollten wir diesmal schlauer sein und gleich mit einzelnen Einkaufszettel getrennt reingehen. Alles war vorbereitet. Aber wir haben nicht mit dem Sicherheitsmann am Eingang des Supermarkts gerechnet. Der war neu und kontrolliert den Einlass. Leider hat der gute Mann uns schon von weitem zusammen gesehen. Mich hat er reingelassen aber Paul wurde von ihm aufgehalten. Ungünstig. Er schickte mir nun wieder seinen Einkaufszettel aufs Handy und ich raste durch den Supermarkt. Schließlich saß Paul nun vorm Supermarkt und wartete auf mich und das ohne offiziellen Grund. Die Polizei fuhr eine Runde auf dem Parkplatz aber hat ihn zum Glück nicht gesehen. Wir waren aufjedenfall nicht die Einzigen, die nicht zusammen in den Laden durften. Aber die anderen Partner konnten sich in ihre Autos verkrümeln. Es ist wirklich ein sehr komisches Gefühl plötzlich unerlaubt draußen zu seien bzw. nur mit einer eidesstattlichen Erklärung. Vielleicht nehmen wir das auch zu Ernst aber ich würde ungern in eine Diskussion mit einem Polizisten geraten, in der ich nichts verstehe und irgendwas falsch gemacht habe. Jedenfalls raste ich durch den Supermarkt und erledigte unseren zwei Wochen Einkauf in 30 Minuten. In den letzten zwei Wochen hatten sich die Regeln und Schutzmaßnahmen wieder ganz schön verändert. Verrückte Welt.

Eine wirklich schöne Errungenschaft ist unser entrümpeltes Cockpit. Das stand zu Zeiten als wir uns noch fortbewegt haben (lang lang ists her und die Erinnerungen verschwimmen langsam) immer voll mit Wasserkanistern und Zeugs, das wir zum Schleusen brauchten. Seitdem wir im Hafen liegen wurde es unsere Werkstatt. Geschützt durch die Kuchenbude (Zelt über dem Cockpit) wurden hier der Bugspriet, Badeleiter und Klampen geölt, Werkzeug zwischengelagert und Aceton und Co. aufbewahrt. Aber umso wärmer es draußen wurde, um so mehr hatte ich den Wunsch das Cockpit in seinem eigentlichen Verwendungszweck zu benutzen, nämlich zum Chillen, Draußen sein und Frühstücken. Also wurde der Bugspriet endlich nach draußen verbannt und alles mal ordentlich aufgeräumt und schwupps war da dieser neue Aufenthaltsraum, in dem man nicht schon die letzten 6 Monate verbrachte hatte und in dem der Wind einem leicht um die Nase wehte. Wirklich wirklich schön. Die Temperaturen spielten mit und so frühstückten wir nahezu jeden Morgen draußen und hatten einfach allgemein etwas mehr Platz für uns.

Einige Abende waren schon so warm, dass wir bis Mitternacht in eine Decke gemurmelt im Cockpit saßen, Hörspiel gehört und die Sterne bewundert haben. Meine Solarlichterkette habe ich auch endlich ausgepackt. Die Sonne hat jetzt genug Kraft um sie aufzuladen und so gehen die kleinen gelben Kugeln jeden Abend automatisch an und erleuchten unser Boot.

Der Blick auf die Rhône ist auch wirklich wirklich schön. Und im Tierreich gegenüber im Wald ist immer was los, was sich beobachten lässt. Eine Krähe bekriegt sich ständig mit einem Graureiher, eine Erpel-Gang ärgert ein Entenpärchen, Fische verschiedenster Größe tummeln sich ums Boot und ein Schwanenpärchen bekommt hoffentlich bald Junge. Also immer was los hier und doch irgendwie nicht…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.