Der Rhein-Herne-Kanal ist ein alter Bekannter. Hier sind wir auch auf unserem Hinweg an einem Tag durchgerutscht. Es sind nur rund 45 Kilometer und 5 große Schleusen. Wenn man den Stau an der ersten Schleuse hinter sich hat flutscht es eigentlich, da man mit dem großen Berufsschiff mit dem man geschleust wird meist in gleichem Abstand bleibt und immer mit ihm in die Schleusen rutscht. Wir kommen gut voran und nach der 4. Schleuse verabschiedet sich das große Schiff vor uns in seinen Hafen. Wenn wir Glück hätten konnten wir also allein in der letzten Schleuse schleusen.
In dem gesamten Kanalabschnitt der meist dicht an Städten vorbeiführt sahen wir Jugendliche ins Wasser springen. Super leichtsinnig, da man die Strömungen der großen Schiffe und die Reflektionen durch die Kanalwände leicht unterschätzen kann. Selbst Scarlett wurde manchmal ganz schon hin und her gezogen, wenn so ein Kanalriese uns passiert. Absolut leichtsinnig. Paul machte ein entgegenkommendes Schiff per Funk darauf aufmerksam, dass sich vor ihnen hinter der Kurve Schwimmer befinden. Umso alarmierter waren wir, als wir kurz vor dem Schleusenvorhafen der letzten Schleuse ein treibendes Surfboard sahen. Die Schleuse hatte uns schon grünes Licht gegeben und alles war eigentlich bereit für unsere Einfahrt. Aber das verlassene Board ließ uns nach so vielen „Badegästen“ keine Ruhe. Wir nahmen den Gang raus und guckten uns sorgfältig um, aber entdeckten keinen vermeintlichen Besitzer. Passanten hatten auch schon Ausschau gehalten und bedeuteten uns da mal nachzugucken. Wir drehen ganz vorsichtig eine Runde und fischten das Surfbord aus dem Wasser. Es hatte schon einige Schrammen und Löcher und sah nicht wirklich gebrauchsfähig aus. Hatte das jemand einfach im Kanal entsorgen wollen? Wir nahmen es an Bord, damit es kein weiteres Boot behindert und funkten den Schleusenmeister an.
Die Schleuse war mittlerweile leider wieder auf rot, und die Tore geschlossen. Per Funk gab er uns zu verstehen, dass wir zu spät waren und er nicht auf uns warten wollte. Wir erklärtem ihm die Lage und fragten, ob wir das Surfboard auf dem Schleusengelände ablegen könnten (schließlich haben wir hier seinen Kanal saubergemacht). Aber das sah er garnicht ein. Wir könnten es an dem Kanusteg ablegen aber nicht bei ihm. Der Steg an dem die Kanus einsetzen war natürlich viel zu flach und nach einer kurzen Grundberührung drehten wir wieder ab und legten uns an eine Spundwand, um auf die nächste Schleusung zu warten. Ich war ziemlich verärgert. Jetzt hatten wir Müll an Bord (der sich nicht so leicht entsorgen ließ), einen Schleusenmeister der unsere Sorge um einen badenden Menschen nicht all zu sehr zu teilen schien, eine Grundberühung und eine verpasste Schleusung. Dabei wollten wir doch nur das Richtige tun.
Der Schleusenmeister kam uns dann doch noch zur Hilfe. Er meldete sich per Funk und bemerkte, dass es ja doch nicht so normal sei ein Surfboard hier im Kanal zu finden. Er habe die Wasserschutzpolizei gerufen, die dann wahrscheinlich zu uns kommen wird. Wir sollen da an der Spundwand erstmal warten und das Surfboard dürfen wir an den Wegesrand legen. Super, diese Reaktion hatten wir schon vor 10 Minuten erwartet. Also runter mit dem gelben Ding und erstmal ne Snackpause auf der Spundwand. Nach einiger Wartezeit kam die Wasserschutzpolizei. Das Polizisten-Duo hätte eine Krimi-Comedyserie nicht besser skripten können. Sie, die taffe, clevere, motivierte Kommissarin und er der typische Dienst-nach-Vorschrifts-Beamte. In gemeinsamen Überlegungen kamen alle zu dem Schluss, dass das Board wahrscheinlich nicht in Benutzung gewesen ist. Vielleicht Deko von einer der „Möchtegern-Beachbars“ am Kanal. Wir nahmen das Board wieder an Bord und schleusten es mit uns die Schleuse hoch. Während der Schleusung quetschte uns der Schleusenmeister entspannt aus seinem Fenster lehnend über die neusten Entwicklungen aus. Im Oberwasser wartete das Polizeiboot und nahm das quietschgelbe Board an Bord. Die sympathische Kommissarin fragte uns ganz ordnungsgemäß, ob wir dieses Fundstück behalten wollten. Nachdem wir verneinten, bekam sie ganz strahlende Augen und meinte scherzhaft : „Cool, dann behalte ich es. Ich wollte schon immer mal mit Windsurfen anfangen!“
Das wäre geschafft. Wir können weiterfahren und werden noch eine Zeit lang von dem Polizeiboot verfolgt, da wir in die selbe Richtung wollen. Wir biegen auf den Dortmund-Ems-Kanal ein und legen in Datteln an einer Wand an. Hier lagen wir auch schon im letzten Oktober. Damals habe ich auf der Straße neben Scarlett ein wenig mit meinem Pennyboard (kleines Longboard) rumgespielt. Um die Tradition zu bewahren mache ich das heute auch wieder – Regen hin oder her!
Am nächsten Morgen geht es weiter auf dem Dortmund-Ems-kanal. Der Tag ist eher ereignislos. Es nieselt immer mal wieder und die Kilometerzähler schleichen an uns vorbei.
Die Schleuse in Münster steht auf dem Tagesplan und wir überholen ein großes Schiff, da wir einen halben Knoten schneller sind. Diese Überholmanöver dauern eine gefühlte Ewigkeit und sind ziemlich aufregend. Wir schaffen 87 Kilometer in 10 Stunden und fallen in Bergeshövede in unsere Koje. Aber zuerst gibts ein Anlege-Radler in unseren gemütlichen Klappstühlen am Steg.
Am nächsten Morgen biegen wir in den Mittellandkanal ein. Es ist so ein schönes Gefühl immer mehr Gewässer von meiner Liste zu streichen und Lübeck immer dichter zu kommen.
Auf dem Mittellandkanal erwarten uns 233,6 Kilometer mit nur einer einzigen Schleuse. Nach den französischen Kanälen mit einer Schleuse alle 2 Meter erscheint uns das wie wahre Entspannung. Einziger Haken ist, dass auf dem Kanal deutlich mehr große Pötte unterwegs sind. Nicht nur das Überholen von Großpötten sondern auch das einfache Passieren von Gegenverkehr ist immer wieder aufregend. Einige Schiffe bleiben einfach mittig im Kanal und rücken kein Stück zur Seite. Andere erzeugen erhebliche Strömungen oder ziehen uns das Wasser unterm Kiel weg. Nach 10 Stunden schnurgeradeaus fahren und 98,2 Kilometern erreichen wir Halen gegenüber von Minden. Hier legen wir etwas illegal an, da wegen anderen Sportbooten nicht mehr so viel Platz am Kai ist. An den Kanälen gibt es immer große Anleger für die Beruffschiffahrt und ein kleinen Abschnitt für Sportboote. Heute lag die eine Hälfte von Scarlett im Sportbootbereich und die andere eben nicht. Naja wird schon gutgehen.
Hier liegen auch unsere Lieblingsschweden. Das ist natürlich kein Zufall. Wir haben jeden Abend mit den beiden geschrieben und unsere Erlebnisse und Liegestellen ausgetauscht. Die beiden können es kaum fassen, dass wir sie eingeholt haben obwohl sie einige Tage Vorsprung hatten durch unsere Dieselpestpause. Wir hatten aber auch wirklich ein erstaunliches Tagespensum an den Tag gelegt. Daher sind wir auch zunehmend erschöpfter. Jeden Tag sind wir um die 10 Stunden gefahren. Das Fahren auf den Kanälen ist vergleichbar mit Autofahren. Permanentes Steuern, 100% aufmerksam sein und auf den Schiffsverkehr reagieren. Mit anderen Worten: Wir sind fix und alle. Vielleicht werden wir genau deshalb von Anika und Steen zum Essen auf der „Westmonsun“ eingeladen. Außerdem lernen wir noch zwei Deutsche kennen, die schon ein paar Tage mit Anika und Steen zusammenfahren. Anika hatte sie schon angekündigt und erwähnt, dass sie ein ähnliches Boot wie wir haben. Naja wir dachten dann, dass es vielleicht auch einen Decksalon hat oder zwei Masten. Aber als wir ankamen sahen wir dort die gleiche Version wie Scarlett. Ein Schwesterschiff – eine Beneteau Evasion 32DS. Super verrückt, da unser Boot jetzt nicht soooo verbreitet ist. Enthusiastisch werden noch beim Anlegen die ersten Bootsabgleiche vorgenommen. Vor dem Essen düsen wir aber nochmal kurz zum Supermarkt. Als wir zurückkommen mache ich gerade folgendes Bild von unserem Liegeplatz.
Zuerst liegt da Scarlett, dann ihr Schwesternschiff, dahinter die schwedische SY Westmonsun und von hinten rollt ein Berufsschiff an. Wirklich idyllisch. Bis…ja bis das Berufsschiff einen ohrenbetäubenden Hubton von sich gibt. Uns rutscht das Herz in die Hose als wir merken, dass er uns und unsere eher illegale Anlegeposition meint. Alle sind in heller Aufruhe. Wir lassen den Motor an, schmeißen die Leinen los und gucken, dass wir wegkommen. Der dicke Brummer legt an und wir winken entschuldigend. Unangenehm. Aber wohin jetzt mit uns? Wir drehen einen Kreis um den dicken Pott und gehen längsseits an die Westmonsun. Dann haben wir das auch mal gemacht. Anika und Steen sind ja alte Segelhasen und super entspannt. Was hatten wir mal wieder für ein Glück genau in dem Moment vom Einkaufen zu kommen – 10 Minuten später und die Wasserschutzpolizei hätte uns vielleicht empfangen. Dann können wir endlich Essen, wir sind eingeladen auf der WestMonsun. Wie gut dass wir jetzt längsseits sind 😛 . Es gibt Ofengemüse mit Schweinefilet und Whiskeysoße. Der Abend ist wirklich gemütlich und entspannt. Wir tauschen uns über die letzten Erlebnisse und vieles mehr aus.
Am nächsten Morgen kommt eine Freundin von mir mit ihrem Baby vorbei. Sie wohnt in Minden und ich habe sie gestern spontan zum frühstück eingeladen. Das hat sie sich nicht nehmen lassen. Sie hatte gar keine Ahnung, dass wir bei ihr vorbeikommen und was wir in letzter Zeit so gemacht haben. Solche spontanen Zusammenkünfte machen mir immer besonders Spaß. Plötztlich sitzt man da zusammen und keiner hätte das noch vor ein paar Stunden gedacht. So schön und unkompliziert.
Nach dem Frühstücksbesuch fahren wir drei Sportboote in der Kolonne weiter. Wir kommen bis Hannover und machen alle drei im Sportboothafen fest. Dort treffen wir ein weiteres schwedisches Pärchen mit gelegtem Mast und auf dem Weg gen Norden. So schön endlich wieder mehr bewegte Boote zu sehen. Sehr beeindruckend sind auch die Rangierkünste von Anika und Steen. Ihre Stahlyacht wiegt 23 Tonnen, ist über 15m Meter lang und ohne Bugstrahler manövriert er die schwere Lady in die kleinsten Liegeboxen. Wirklich eindrucksvoll!
Wieder ein Morgen im Kanal-Life. Unsere Kolonne legt ab und nach eineinhalb Stunden gelangen wir zur Schleuse Anderten. Wir kriegen via Funk einen Platz in der gerade offenen Kammer zugewiesen. Trotzdem wollen wir kurz anlegen zum Warten, da ziemlich viel Schiffsverkehr im Vorhafen herrscht. Wir kreuzen auf die andere Seite, da dort der „offizielle“ Sportbootwarteplatz ist. Dort steht ein Polizeiauto. Ein Polizist steigt aus und schlendert auf uns zu. Er fragt, ob wir uns schon angemeldet haben. Nach unserer Bejahung fragt er nach unseren Bootspapieren und Bootsführerscheinen. Uff, die mussten wir ja noch nie zeigen. Hoffentlich sind sie noch da, wo ich sie im Oktober versteckt hatte 😀
Waren sie. Trotzdem verpassen wir unsere zugewiesene Schleusung. Unsere Kolonnenfreunde legen auf der verbotenen Seite irgendwo an der Wand an und werden natürlich nicht aufgehalten. Das hat man jetzt davon, wenn man sich an die Regeln hält. Ich bin etwas sauer, da man auf eine freie Schleusenkammer schon mal ne Stunde warten kann, wenn es blöd läuft und ich den Grund der Kontrolle nicht ganz verstanden habe zumal ist nichtmal die Wasserschutzpolizei war. Ich komm nicht umhin zu bemerken, dass die Beamten sich über unsere Situation freuen. Aber na gut. Es wird schon Gründe geben. Zum Glück sind hier beide Schleusenkammern aktiv (sonst ist meistens eine kaputt) und wir kriegen schnell eine neue Schleusenkammer zugewiesen. Die Schleuse ist nochmal etwas aufregend, da es keine Schwimmpoller gibt und die Strömung von überall kommt. Aber für so alte Schleusenprofis wie uns ist es trotzdem machbar. Wir haben ein bewährtes System über die Zeiten und inspiriert durch einige unserer Schleusenunfälle ausgearbeitet.
Wir machen heute nur 50 Kilometer und lassen die anderen beiden Boote an unsvorbeiziehen. Wir liegen an einer schönen Liegestelle mitten im Nirgendwo kurz vor Braunschweig. Der Schwell der Beruffschifffahrt lässt uns glauben schon auf dem Meer zu sein so sehr wird er an den Kanalwänden reflektiert. Von einem vorbeifahrenden Schiff haben wir noch zehn Minuten später was. Wir halten hier, weil meine beste Freundin Tomasa aus Hamburg heute zu Besuch kommt. Wir planen das schon sehr lange. Denn heute ist ihr Geburtstag und den verbringen wir seit einigen Jahren immer zusammen. Wir hatten niemals gedacht, dass wir so weit im Norden sind an diesem besonderen Tag. Noch dazu wohnt ihre Familie nur 30 Kilometer von unserer Liegestelle entfernt. Das hätten wir nicht besser planen können. Sie kommt nach ihrem Geburtstagsbrunch bei ihrer Familie direkt zu uns und bringt jede Menge Kuchen mit. Warum genau haben wir nicht öfter Besuch?! 😀 (Frage an alle Leser!) Abends verziehen wir Mädels uns in ihr Auto. Das hat sie gerade etwas ausgebaut damit man darin schlafen kann. Wir schlafen an einem Feldrand umringt von Unmengen von Glühwürmchen. Kann es schöner sein? Ich glaube kaum. Das denkt sich Paul auch. Er kriegt in dieser Nacht ein Gefühl dafür wie groß ein 1,15m Bett sein kann wenn man allein darin schläft. 😀
Nach einem gemeinsamen Frühstück macht Tomasa einen Abflug und wir wollen eigentlich weiterfahren. Aber es regnet und auf dem nächsten Kanal sind die Anlegemöglichkeiten ziemlich rar. Man muss vorher genau gucken wie weit man es schaffen kann und entsprechend losfahren. Naja und wie schon erwähnt waren wir fix und fertig. Also beschließen wir kurzerhand einen Pausentag. Kaum ist es beschlossen und kommuniziert, sitzen meine Eltern samt Hund im Auto auf dem Weg zu uns. Wir sind kurz vor Braunschweig und das ist der westlichste und somit kürzeste Weg nach Berlin. Die Gelegenheit lassen sich die beiden nicht nehmen. Wir schlafen nochmal 3 Stunden und dann sind sie da. Zum Glück haben sie von der unausgesprochenen aber sehr ernstzunehmenden Regel gehört, dass man nur mit Kuchen an Bord gelassen wird. Nach einer tränenreichen Begrüßung machen wir es uns im Boot mit Kaffee und Kuchen gemütlich. Unser Hund probiert sich als Bootsmann und macht das ziemlich gut. Es tut so gut nach so vielen Monaten wieder Familie und Freunde wiederzusehen. Die drei bleiben bis spät abends und machen sich dann auf den Weg zurück nach Berlin.