Die letzten Tage waren wild! Wir haben unglaublich sympathische und freundliche Menschen kennengelernt, die grandiose schwedische Gastfreundschaft erlebt, leckerstes Essen genossen, mit hunderten Menschen um den Midsommar-Baum getanzt, die Nacht durchgemacht. Alles, wirklich alles, was an Glückshormonen locker zu machen war, haben wir rausgehauen. Dass danach der emotionale Durchhänger kam, war irgendwie auch verständlich. Zwei weitere Tage sind wir nach Midsommar noch in Harstena geblieben, haben miterlebt wie alle einpacken und ablegen, wie es leer wurde. Sogar, wie die ersten neuen Segler anlegten. Ganz surreal, diese Stimmung.
Am dritten Tag berappeln wir uns, und fühlen uns wieder etwas mehr nach neuen Abenteuern. Das fängt damit an, dass wir erstmal unter Segeln aus dieser wunderschönen Nord-Bucht von Harstena heraussegeln. Klasse wie das flutscht: Segel vorm Wind hochziehen, auf nur 50 % der Fläche weil wir nicht zu schnell durch die Enge möchten, und los! Wir wollen Richtung Oxelösund, vielleicht sogar heute dort schon ankommen.
Wie so oft kommt es anders. Wir schlängeln uns schon wieder mit entspanntem Rückenwind durch einige richtig enge Passagen, bewundern Wald, Felsen und Kühe auf den dicht vorbeiziehenden Inseln. Kaum zu glauben wie unfassbar schön diese Gegend hier ist. Und sonst ist hier niemand. Dutzende von den kleineren Inseln sind einfach nur Inseln. Auf den größeren steht vielleicht mal ein Sommerhaus, aber das ist aktuell noch nicht belegt. Autos, Straßen, Zivilisation? Fehlanzeige. Das Bescheuerte nur: man gewöhnt sich viel zu schnell an all die wunderschöne Wildnis um einen herum. So verrückt das auch klingen mag, aber wir müssen uns das immer wieder aktiv ins Gedächtnis rufen: Es ist traumhaft schön um uns herum, und nicht normal.
Gesagt, getan, tut sich in einer weiteren engen Passage eine winzige Einfahrt zu Bucht mit Berg auf. Schneller Blick auf die Seekarte: Ja, hier kann man ankern und am Fels festmachen. Wir schalten schnell, aber sind doch zu langsam. Zähneknirschend kreuzen wir die vorbeigesegelten 50 m wieder hinauf, um dann schön entspannt und auf langsame Fahrt gerefft durch die Nadelöhr-Passage in die Bucht zu segeln.
Das Anlegemanöver mit Heckanker sitzt souverän beim zweiten Versuch. Angekommen, nach 4 Seemeilen und ein bisschen mehr als einer Stunde unterwegs. Nach Oxelösund wären’s noch ein paar viele mehr gewesen. Ach wat solls, wir wollten doch eh sehen wohin uns der Wind treibt, statt irgendwelchen Plänen zu folgen. Das klappt nicht so oft wie wir das gerne hätten – heute schon!
Erstmal genießen. Dann: Hobbies raus, wofür sonst haben wir Ilvy so sehr überladen dass sie 10 cm tiefer schwimmt (eigentlich könnten wir mal unser Echolot entsprechent neu kalibrieren…).
Eins der beiden Spaßgeräte brachte solide Ergebnisse – das andere leider nicht. Es heißt ja, der Fehler sitzt oft vor dem Gerät… Das kann aber hier gaaar nicht der Fall sein, denn ich bin ja soooo geduldig. Ganz besonders wenn beim dritten Mal auswerfen schon wieder nichts beißt.
Es muss also mal wieder der Alternativplan herhalten, der aber auch ganz ansehnlich ist: auf den Felsen gegrillte Pimentos mit Kristall-Salzflocken, Grillkäse und Maiskolben. Lässt sich aushalten, und der Fisch schwimmt uns schon nicht davon.
Ein wunderschöner, überraschend kurzer Segeltag geht zu Ende. Wir sind einfach nur glücklich. Das hier hilft auf jeden Fall, die Emotionen der letzten Tage zu verarbeiten.
Bevor wir am nächsten Morgen ablegen, bepacken wir uns mit leckerem Frühstücks-Shit und kraxeln auf den hiesigen Inselberg. Mensch ist das schön hier oben. Diese Aussicht, diese Farben <3 Endlich genießen wir mal selbst die Drohnen-Sicht – ohne Drohne!
Am Horizont warten schon die ersten Segler auf uns, sie düsen auf der „Sportbootautobahn“ entlang. Diese ist ein betonntes Fahrwasser, das sich einmal von Süd nach Nord eigentlich durch die gesamte Ostschärenlandschaft schlängelt. Und das so gut wie immer innerhalb des Schärengürtels, also gut geschützt vor den Ostseewellen. Beim Segeln hier vergisst man schnell, dass man immernoch auf der Ostsee segelt. Ohne Welle und mit deutlich weniger Wind fühlt es sich eher an wie ein See im tiefsten Bayern.
Runterkraxeln, seefest machen, ablegen, aufbrechen. Die Handgriffe sitzen, die Abläufe sind Routine geworden. Dank des Dschunkenrigs sind es nun auch deutlich weniger. Mehr Zeit für das Wesentliche: Kaffee kochen und in Thermosbecher füllen – für das zweite Frühstück unterwegs 😉
Apropos Vorteile der Dschunke: Auch heute malt uns nicht nur das schöne Wetter ein Grinsen ins Gesicht. Bei raumen bis achteren Winden um die 4 – 5 Bft überholen wir ein ums andere – größere – Boot. Nur eine 44 Fuß Yacht prescht an uns vorbei, während wir ein hübsches gelbes Boot passieren. Aber wir wollen ja nicht größenwahnsinnig werden!
Weiter geht’s, durch Inselwelten navigieren und fröhlich winken. Das Leben im Paradies. Für heute Nacht kehren wir in eine Bucht bei Måsskaeren ein. Es ist ein bisschen mehr Wind für Nachts als hier üblich angesagt, und so legen wir uns schön versteckt vor Anker. Hier lasse ich nochmal die Drohne steigen, nehme das schwojende Video vor Anker auf und wir lassen den Tag bei grandiosem Sonnenuntergang ausklingen.
Morgens paddeln wir mit gepacktem Frühstückskorb zur nächsten Mini-Schäre. Die besteht aus nur einem großen Felsen, der aus dem Wasser ragt und zum räkeln einlädt. Schmecken tuts hier ganz besonders gut, zwischen all den verschiedenen Blumen die hier wachsen. Die Aussicht sorgt für das Übrige.
Eigenartigerweise habe ich eine Vorliebe für engste Passagen und Durchfahrten, und jetzt ratet mal wer das besonders zu schätzen weiß weil sie mit mir im selben Boot sitzt!? Genau 🙂 Auch dieses Mal wäre die Einfahrt zur Bucht, über die wir gestern hier herein kamen, viel zu langweilig, denn da gibt’s ja noch diese winzige, sehr flache und mit Steinen übersähte Rinne direkt am anderen Ende. Nach einer farbenfrohen Argumentationskette einigen wir uns darauf, dort durchzufahren – jedoch nicht unter Segeln. Wir gehen also Anker auf, diesmal mit Motor und tuckern auf die Engstelle zu.
Toni steht vorne am Bug und starrt ins Wasser, um nach Steinen Ausschau zu halten. Ich an der Pinne lasse Ilvy im Standgas ganz langsam vorwärts kriechen. Dann oder wann ist Toni von der hübschen Umgebung abgelenkt, und schaut der Felswand hinter uns zu (Anm. d. Red.: Toni hätte durchgehend konzentriert vor uns auf Steine geachtet). Sie dreht sich wieder nach vorne, und plötzlich schreit sie „Stein, Stein, Stein“. Fuchtelt dabei wild in alle Richtungen mit ihren Armen (Anm. d. Red.: Paul hätte Tonis glasklare Signale nicht deuten können). Ich – etwas zu selbstsicher schon wieder weit weg vom Motor-Gashebel – hechte hin, weiß gar nicht in welche Richtung ich lenken soll, und gebe erstmal Vollgas Rückwärts. Klassisches Fehlmanöver weil die Ruderwirkung abnimmt, haben die auf der Titanic auch schon so gemacht… Die Sekunden streichen vorbei, jeden Moment müsste ein Ruck durchs Boot gehen wenn der Kiel am Stein hängen bleibt. Doch es passiert nichts. Ich starre in unser Kielwasser und versuche den Stein zu erhaschen, der nun hinter uns auftauchen müsste. Nichts. Nochmal Glück gehabt. Anscheinend. Vielleicht sind wir einfach knapp dran vorbei, oder der Stein war tief genug. Wir wissen es nicht, nicken uns zu, zucken mit den Achseln, setzen Segel und gleiten Richtung Horizont.
Meiner Vorliebe für Engstellen tut diese Situation keinen Abbruch, und so gleiten wir immer dann, wenn sich die Fahrrinne in eine breite, einfache Straße und einen schmalen, schwierigen Bergpass aufteilt, natürlich durch letzteren. Und davon gibt es hier einige. So auch kurz vor Oxelösund. Alles nicht so dramatisch wie unsere letzte Nah-Stein-Erfahrung, aber trotzdem sehr schön!
Wir rauschen unter vollen Segeln bis dicht unter die Hafenmole, und lassen dann vorm Wind fix alles fallen. Ach macht das einen Riesenspaß, mit dem Restschwung in den Hafen einzulaufen. Doch huch, was ist das denn? Der Hafen ist so gut wie leer, und das Ende Juni. Einfach mal wieder krass zu sehen, dass die schwedische Segelsaison im Prinzip erst Mitte Juli anfängt und nur einen Monat andauern soll. Für uns nicht nachvollziehbar, da wir ja schon seit gut einem Monat eine fantastische Zeit hier beim Segeln haben…
Was nun folgt ist unsere mittlerweise eingespielte Hafenroutine: Großeinkauf, also zentnerschwere, mit Lebensmitteln prall gefüllte Ikeatüten auf schmerzenden Schultern über Kilometer zu Ilvy schleppen; Alle Wassertanks spülen und bis zum Rand auffüllen; Duschen Duschen Duschen; Den Müll der letzten zwei Wochen wegbringen; Alles an Wäsche waschen was wir haben; Tanken. Wo ein Hafen doch Sicherheit verspricht, bedeutet er für uns immer nur viel Arbeit. Aber auch ausnahmsweise Kühlware zum Essen: Wir gönnen uns Burger beim örtlichen Ami-Schuppen, und abends Scampis und Fisch an Bord. Toni prägt für diese Art von Lebensmittel den Begriff „Kühlschrankessen“. Darauf freuen wir uns immer sehr, denn ohne einen Kühlschrank an Bord halten sich bei uns weder Fisch, Fleisch noch Milchprodukte (außer Käse) länger als einen Tag. Irgendwie stört das aber gar nicht, sondern sorgt eher dafür dass wir uns auf was besonderes freuen wenn wir dann oder wann mal wieder in einen Hafen fahren.
Und oh, was ist denn das!? Was hat denn da am Steg angelegt? Na, erkennst du es?
Die Aufösung gibt’s dann im nächsten Beitrag 😉
Die Landschaft is ja unglaublich schön. Interessant auch, wie man so was wie einen Kühlschrank als gegeben betrachtet, aber wenn man ihn dann nicht hat, ganz einfache Sachen wie Milch, etc. sehr zu schätzen weiss. Viel Spaß auch weiterhin, euch beiden Seglern.
Well done. You are learning the Art of Slow Cruising. I am so pleased you’re not spoiling all this good Zen time by murdering fish 🤗