Mit dieser Bucht, unserer nördlichsten auf dieser Reise, ist es vollbracht: Der Zenit ist erreicht. Nördlicher wird’s nicht. Ab jetzt wieder die Sonne im Gesicht beim Segeln…
Wir gehen Anker auf, und segeln bei sehr leichtem Wind Richtung Süden. Es geht zwar nur langsam vorwärts, doch es geht vorwärts. Viele motorende Segelyachten überholen uns, ebenso wie einige schnelle Motoryachten. Unbeirrt setzt Ilvy ihren Kurs fort, auch wenn sie dabei so manches mal gut von den Wellen der motorenden Boote durchgeschüttelt wird.
Der Wind weht erst leicht aus Ost, dann aus West, dann aus Süd – wohin wir ja wollen. Es reicht gerade um die Segel zu füllen, und vorwärts zu ghosten. Wir segeln abwechselnd Raumwind-, Halbwind und Kreuzkurse. Alles ganz gemütlich, und schön. Wir sind so langsam, dass wir vor Langeweile in den Himmel starren. Wow, was sehen wir denn da schon wieder? Das muss das sechste oder siebte Mal in dieser Reise sein 🙂
Als der Wind endlich etwas auffrischt, dreht er auf Süd. Also kreuzen wir fröhlich gegenan. Ich werde nicht müde zu betonen, dass wir dank unseres Dschunkensegels das Kreuzen nicht mehr als lästig empfinden. Stattdessen genießen wir beide mit Kaffeetassen in der Hand die engsten Kreuzpassagen, in denen Ilvy flüsterleise eine Wende nach der anderen meistert, und winken anderen gegenan motorenden Yachten fröhlich zu. Toni schreibt sogar zeitweise Blog, während wir kreuzen.
Doch auch dieser Spaß hat mal ein Ende. Heute ist einer dieser für uns so seltenen Tage, an denen wir nass werden. Ich springe in Tonis orangenes Fischereiölzeug und übernehme die nasse Wache, während Toni es sich unter Deck gemütlich macht und mir ganz mitfühlend heiße Durchhalte-Getränke anreicht.
Es ist alles halb so schlimm. Vorallem, da unser Fischereiölzeug, das aus dicker PVC-Plane besteht, absolut wasserundurchlässig ist. So werden nur Gesicht und Hände nass, und das ist sogar im Sommer ein bisschen schön 🙂 Mitten im Regen stirbt der Wind so ziemlich komplett ab. Leider sind wir zu diesem Zeitpunkt direkt in der Mitte des Hauptfahrwassers nach Stockholm. Erstmal kein Problem. Doch als am Horizont ein Kreuzfahrtschiff auftaucht, ändere ich unseren Kurs so, dass wir auf schnellstem Wege hier herauskommen. Schade nur, dass kein Wind da ist (Motor anwerfen ist selbstverständlich keine Option!). So dümpeln wir gaaaaanz langsam zum Fahrbahnrand, was uns zufälligerweise etwas sehr spannendes beobachten lässt: als das Kreuzfahrtschiff dicht an uns vorbei pflügt, kommt ein Rettungshubschrauber angeflogen, landet in voller Fahrt auf dem Schiff, bleibt dort kurz und hebt wieder ab. Und wir in der ersten Reihe um das Spektakel zu beobachten.
Ehrfürchtig schauen wir der Aktion zu, ahnend, dass es hier um die Rettung eines Menschenlebens geht. Der Helicopter hebt ab, gibt Schub, dreht eine volle Runde um das Schiff und landet ein zweites Mal. Hä!? Wieder bleibt er eine knappe Minute dort an Deck stehen, mit laufendem Rotor, und hebt dann wieder ab. Nur, um das Manöver ein drittes Mal zu vollführen. Das kann keine Rettungsmission sein, es sieht eher wie eine Übung aus. Wow, da macht es gleich viel mehr Spaß zuzuschauen. Atemberaubende Leistung des Heli-Piloten! Der Drohnenpilot unter uns beäugt leicht neidisch diese gekonnten Landungen auf einem fahrenden Schiff, bei denen sich das Flugobjekt nicht jedes Mal die Rotorflügel am Rumpf zerhackt oder auf dem Kopf landet (durch Zufall im Boot, nicht daneben)…
Kurz darauf ist der Regen endgültig durch, der leichte Wind zurück (sogar diesmal achterlich) und Ilvy bewegt sich wieder. Wir werden sogar von einem kleinen Motorboot umrundet, bevor es seinen Speed rausnimmt und uns längsseits ein kleines Stück begleitet. Man ist ganz interessiert an unserem Segel und fragt mit großen Augen viele Fragen. Als diese dann zum Leuchten gebracht sind, düst man wieder davon. Herrlich, solche Begegnungen: wir können die Begeisterung für das Dschunkenrig weitergeben 🙂
Nach der Einfahrt in den beschaulichen Fjord zwischen den Inseln Yxlan und Blidö machen wir im Hafen Stämmarsund auf Blidö fest. Hier gibt es zwar weder Wasser noch Strom (und fragt nicht nach den Duschen…), aber es ist malerisch schön. Ein schwedisch-buntes Restaurant mit ausladender Außenterrasse thront über dem Hafensteg auf einem grasbewachsenen Hügel. Abends wird hier ein mächtiges Burgerbuffet aufgefahren, dessen köstliche Düfte bis zu uns hinunter zum Anleger wehen.
Nach einem kurzen Erkundungsspaziergang beobachten wir, wie ein kleines Motorboot eine Karawane an Katamaranen in unsere Bucht schleppt. Zwei jugendliche Jungs haben offensichtlich den Auftrag, diese Katamarane hier am Steg zu vertäuen. Sie scheinen hier einen Sommerjob zu absolvieren, und wären augenscheinlich viel lieber mit ihren Freunden am Strand, beim Baden oder Surfen. Die Laune ist im Keller, und so verwundert es nicht, dass so ziemlich alles schief geht was schief gehen kann: Nach dem Abkoppeln des Motorbootes springt der Außenborder des kleinen Schlauchboots, mit dem nun die Segelboote verholt werden sollen nicht an. Das gesamte Knäuel an Booten treibt plötzlich gefährlich schnell auf Schilf und Felsen zu. Beim wiedereinsammeln der Katamarane kommt es zu einigen Karambolagen. Die Jungs haben einfach keinen Bock zu arbeiten, und wer kann es ihnen bei dem Traumwetter verdenken. Ihre Aktion wird später noch von drei Mädels unterstützt, und sie stapeln Boote bis spät abends am Steg. Man sieht ihnen auch einfach an, dass sie einen langen Tag hinter sich haben. Obwohl unser Mitleid durchaus vorhanden ist, sorgen sie jedoch mit ihrer Kein-Bock-Haltung für allerfeinstes Hafenkino. Und nicht nur an Bord von Ilvy wird geglotzt und gegrinst (keine Sorge, wir haben unsere Hilfe angeboten. Wurde mürrisch abgelehnt).
Auf Blidö bleiben wir wieder zwei Nächte. Am Tag nach dem Anlegen unternehmen wir einen ausgedehnten Spaziergang über die Insel. Wir finden wunderschöne Seen im Inland, Schilflandschaften, traumhafte Schwedenhäuser, leckeres wildwachsendes Obst an jeder Ecke, Schafsherden, alternative Kunstateliers und einen riesengroßen Outdoor-Sportpark mit leckerem Eis samt Kaffee.