Wir sind uns immer noch nicht im Klaren, ob der Götalandkanal mit meinem Fuß eine gute Option ist, aber in jedem Fall müssen wir gen Süden. Also nutzen wir den heutigen Nordwestwind und setzen Segel – also Paul setzt Segel. Ich wurde unter Deck bugsiert, und bleibe hier auch für den gesamten Törn. Zu groß ist die Gefahr, keinen sicheren Stand beim Segel zu haben und erneut umzuknicken. Ich kann mich zwar an Bord schon wieder leicht bewegen, aber beim Segeln ist das nochmal ein anderer Schnack. Daher liege ich hier, gucke Paul beim Segeltrimm zu und stricke. Auch mal ganz schön.
Mit Raumwind gleiten wir entlang der Schären-Autobahn gen Süden. So langsam dämmert mir, dass dies die letzten Tage dieser Art am Fels sind. Wenn wir in den Kanal fahren, wird das eine ganz neue Art der Reise sein. 5 Tage irgendwo im nirgendwo am selben Fels liegen, ist dann passé. Wehmut mischt sich unter die Vorfreude. Aber so ist es ja oft, man weiß es am meisten zu schätzen, wenn es fast vorbei ist. Besonders quält mich das Gefühl, dank Klumpfuß dieses Schärenleben nicht nochmal in vollen Zügen auskosten zu können.
Wir fahren die Inselwelt um Risö an. Diese liegt dicht vor dem Fjord nach Söderkjobing, in dem der Götalandkanal startet. So halten wir uns alle Möglichkeiten offen und sind nur eine Tagesdistanz vom Kanal entfernt. Meinem Fuß geht es in großen Schritten besser und wir sind optimistisch, den Kanal machen zu können. Daher starten wir mit der weiteren Planung. In 4 Tagen beginnt die Nebensaison im Kanal. Das bedeutet wir zahlen nur die Hälfte (immernoch stolze ~500€) müssen aber im Konvoi mit festem Zeitplan fahren. In 5 Tagen durch den Kanal mit 85 Schleusen und mehreren Seen. Danach durch den Vänernsee (größter See der EU) und den Trollhättankanal mit weiteren Schleusen. Da der Motor die meiste Zeit laufen wird, müssen wir gut vorplanen. Wir recherchieren detailliert, wo Tankstellen in Laufdistanz sind (Tanken im Kanister), ob unser Konvoi dort anhält und die Zeit reicht. Unseren Verbrauch können wir nur grob schätzen, da wir selten motoren und die Schleusentätigkeit schwer zu greifen ist. Aber am Ende haben wir einen Plan und buchen optimistisch den Kanal. Bis kurz vor Start kann man ja noch für 50€ stornieren.
Die nächsten Tage verfliegen mit Blog schreiben, schnitzen, Stricken, Sport am Felsen, Wäsche waschen und Baden. Ich schaffe es auch endlich die Badeleiter wieder runter und kann mich in die kühlen Fluten stürzen. Das tut unheimlich gut und macht einen frischen Kopf am Morgen. Außerdem umgehe ich so Pauls wiederholenden Angeboten und seiner Vorfreude, mich im Klettergurt an einem Fall ins Wasser Kranen zu lassen.
In Risö erleben wir dann auch ein Himmelsspektakel sondergleichen. Auf den 12. August und die angekündigten Perseiden- Sternschnuppen freuen wir uns schon lange und nun soll die Chance auf Polarlichter auch nicht ganz gering sein. Ich reaktiviere meine Polarlichter-App und verfolge die angegebene Wahrscheinlichkeit für unsere Region. Sieht garnicht mal so gut aus und draußen schwirren Millionen von Mücken. Also warten wir noch ab, bis die Blutsauger schlafen gehen. Kurz bevor wir beim Stricken weg pennen, geben wir uns einen Ruck und wagen uns raus. Unsere Augen gewöhnen sich langsam an die Dunkelheit und schnell werden die wunderschönen Sternschnuppen zur Nebenattraktion, denn wir sehen tatsächlich Nordlichter. Erst ganz schwach und zaghaft. Wenn wir nichts von der Polarlichtervorhersage mitbekommen hätten, hätten es auch einfach leichte Wölkchen sein können. Doch nach und nach gibt es keine Zweifel mehr, da die Himmelsschimmer immer deutlicher werden und auch die typischen Wellenbewegungen nicht zu übersehen sind. Wir sind begeistert, fasziniert und einfach baff. So schön, mystisch und leicht schwirren sie über den Nachthimmel. Nicht ganz so farbenfroh, wie wir sie schon einmal in Island erleben durften aber dennoch sehr beeindruckend. Ein Bild gibt es leider nicht, da wir durch unsere Bootsbewegung keine Langzeitbeleuchtung zu standen kriegen konnten. Aber auch nicht schlimm, ist wohl ein Moment nur fürs Herz. Eingekuschelt in unsere Wolldecken verfolgen wir das Spektakel und beobachten obendrauf noch den längsten Sternschnuppenschweif ever. Was für eine Nacht.
In den nächsten Tagen sickert dann so langsam die Erkenntnis durch, dass der Kanal für uns ein zu großes Risiko ist. Paul ist es wohl schon länger klar aber ich habe bis zum Schluss gehofft, dass es sich ausgeht. Ich kann zwar wieder auf Felsen laufen, aber doch recht vorsichtig und behutsam. So eine flexible Strumpfstütze wäre hilfreich aber wir sind hier im absoluten infrastrukturellen No-where und die nächste größere Stadt liegt im Kanal, aber der Konvoi hat dort keinen Halt vorgesehen. Wir konfrontieren uns und mich nun mit der Realität:
*wir wissen nicht ob ich 8 Stunden lang laufen/stehen kann
*die Gefahr zu stolpern ist hoch, während wir uns in der Schleuse auf das Leinenhandling konzentrieren
*wegen des Konvois können wir nicht ohne Probleme einfach anhalten, wenn es nicht mehr geht
*ich möchte den Kanal genießen
*ein weiteres Umknicken würde deutlich größere Konsequenzen für unseren weiteren Reiseverlauf – und mein Leben – haben
*mögliche Spätfolgen wegen Überlastung sind für uns nicht absehbar
Ich bin enttäuscht und sehr traurig. So richtig. Ich kann verstehen, dass hier der eine oder die andere denkt, naja aber du hattest schon so lange Reisezeit und hat ja auch noch welche. Alles halb so schlimm. Und ihr mögt recht haben, aber für mich fühlt es sich wirklich schlimm an. Ich hatte mich schon so gefreut auf weitere Wochen Schweden pur, auf andere Landschaft, die Westschären und das liebgewonnene Kanalgefühl von vor 4 Jahren wieder auffrischen. Und das alles fällt jetzt aus, weil ich umgeknickt bin. Das steht doch in keiner Relation… Aber so ist es. An Bord muss man fit sein und ich hätte nicht gedacht wie eingeschränkt ich mich an Bord fühle mit dieser Verletzung.
Noch dazu haben wir ÜBERHAUPT keine Lust die glatte unschärige Südküste von Schweden wieder herunter zu fahren. Mit stetigem Südwind immer gegenan. So sehr hat uns der Gedanke einer Rundreise statt eines Rückwegs gefallen. Und da liegt auch wohl der Hase im Pfeffer: ab jetzt fühlt es sich noch Rückweg an und viel schneller als gedacht verlassen wir die schützende Schärenwelt, in der ich mich so pudelwohl gefühlt habe.
Nachdem die Erkenntnis so langsam über die nächsten Tage einwirkt, gucken wir nach anderen spannenden Zielen und Motivationen. Auf keinen Fall wollen wir einfach nur zurück fahren auf dem selben Weg. Wir reden über Bornholm, Rügen, Gotland, Kopenhagen (hier betont Paul die Lokation meines Lieblingswollanbieter, um mich aufzumuntern) und sogar mit Gedanken über eine Kanalfahrt von Stettin über Berlin bis nach Kiel jonglieren wir.
Fest steht, es geht weiter Richtung Süden und zur Aufmunterung schickt uns Rasmus der Wettergott Halbwind. Perfekt um nach Västervik zu kommen. Dort waren wir zwar schonmal und es hat uns sehr gut gefallen. Hier gibt es eine hervorragende Bäckerei, Burgerladen, Apotheke und günstige Supermärkte. Da wir seit ein paar Tagen im Lebensmittel-Leerlauf laufen, sind das wirklich motivierenden und seelentröstende Aussichten. Also ab in den Süden und in ein neues Kapitel unserer Reise.
Ah, I’m so sorry about the ankle, Toni. Living on your boat demands that at least every part of your body more or less functions, even if you don’t have to be particularly fit. An incapacitating injury is my worst nightmare! Still, the Canal will be there for a few more years and can be included in a different cruise in the future 🌞
Thank you so much for your kind and empathic words. It feels so useless not to be able to move on board.
Hejhej!
Sehr gute Entscheidung auf den Götakanal zu verzichten! Gut gemacht! Die Treppen sind echt nicht toll (wir haben anderen mit Bänderriss ausgeholfen da ich ein Crewmitglied entbehren konnte…ich weiss wovon ich fasel…)
Ihr hättet es sowieso nicht ertragen dort im Konvoi in den paar Tagen durchzusausen! Für uns sind drei Wochen (nur Göta) zu wenig Zeit!
Vänern und Trollhätte nochmal daran…(Trollhättan gehen jetzt Umbauarbeiten los – die vierten Schleusen werden gebaut).
Der Kanal und der Vänern sind in Zukunft auch noch da! Seid nicht traurig!
Fuß schonen! und evtl. mit Panzerband stillegen! Weiter nass und kühl halten…auch wenn es nervt! Das bringt viel!
Ich wünsche Euch die nächsten Tage gutes Wetter (hier ist es nicht so toll…).
Liebe Grüße
Ah Toni, so ne Enttäuschung. Freut mich aber, dass ihr flexibel seid und euch von der Vernunft leiten lasst. Die Alternative hört sich übrigens velockend an. Weiterhin viel Spaß und schnelle Genesung. xxx
Vielen Dank 😊