Irgendwann kommt immer der Zeitpunkt an dem man das Paradies verlassen muss. Es musste dazu kommen und wir wollen es auch. Wir sind bereit noch mehr von Dänemark zu sehen und wollen noch weiter nördlich. Der Mariagerfjord ist unser Ziel. Wir haben noch nie von Freunden oder Bekannten gehört, die dort schonmal waren. Jetzt gilt es rauszufinden, ob das seinen Grund hat oder ob der Fjord eine unentdeckte Perle ist und für die meisten deutschen Segelurlaube einfach zu weit nördlich.
Seit Tagen herrscht quasi Windstille kombiniert mit knalle heißen Temperaturen. Das Kattegat liegt spiegelglatt da und sieht einfach super friedlich aus. Friedliches Meer bedeutet für uns aber auch Motoraktion. Nach zwei Stunden Motoren setzen wir zusätzlich die Genau und sind jetzt mit 5 Knoten unterwegs. Nach einer weiteren Stunden setzen wir zusätzlich das Großsegel. Da wir Rückwind haben decken sich die beiden nun ungünstig ab. Es folgt ein wildes Hin und Her. Erst Bullenstander setzen, dann Genua runter, dann Großsegel wieder rein und Fock wieder raus. Alles irgendwie nicht zufriedenstellend und der Wind, wenn er denn da ist, ist eher unentschlossen von wo genau er denn kommen möchte. Naja im Endeffekt läuft unser Motor qualvolle acht Stunden bis der Wind so kräftig wird, dass wir nur mit Genua und Besansegel (zur Stabilisierung) vorankommen, aber da sind wir quasi auch schon in der Einfahrt des Fjords.
Die Einfahrt gleicht einer Landebahn für Flugzeuge. Schon 3 Meilen bevor sich der Fjord ins Land schneidet stehen grüne und rote Bojen aufgefädelt wie auf einer Perlenschnur links und rechts neben der Fahrrinne. Wir haben immer noch Rückwind und Paul muss sich beim Steuern gut konzentrieren um im Fahrwasser zu bleiben aber gleichzeitig keine ungewollten Halsen zu fahren. Zusätzlich werden wir von plötzlich größeren Wellen von hinten angeschoben und rollen bzw. surfen auf ihnen. Unsere Anspannung steigt als wir Menschen direkt neben uns auf einer Sandbank stehen sehen. Links und Rechts neben dem Fahrwasser ist es jetzt so flach, dass bei ablaufendem Wasser hier die Einwohner mit kleinen Motorbooten zu den Sandbänken fahren und sich auf der Sandbank aalen. Und um unsere Konzentration so ganz dahin schmelzen zu lassen taucht auch noch eine süße Robbe neben uns auf.
Das schnurgerade Fahrwasser wird etwas schlängeliger als wir die Küste links und rechts von uns haben. Jetzt sind wir offiziell im Fjord. Das enge Fahrwasser bleibt uns allerdings treu für weitere 11,5 Meilen. So lange müssen wir auch noch fahren, bevor sich die erste Möglichkeit zum Ankern ergibt. Die Fjordeinfahrt ist wirklich speziell und bestimmt nicht bei jeder Windrichtung ein Genuss, aber für uns könnte es nicht besser laufen. Irgendwann gewöhnt man sich an die enge Fahrrinne und die Tatsache, dass quasi direkt neben deinem Boot Pferde auf einer Landzunge stehen und dann war es einfach nur noch magisch für uns.
Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont und alles wurde in wunderschönes Abendlicht getaucht. Zusammen mit unseren roten Segeln ist das für uns immer ein ganz besonderes Schauspiel. Während der ganzen Fahrt in den Fjord trafen wir kein einziges anderes Boot und so hatten wir die unglaublich schöne Natur ohne Zivilisation und ihre Ruhe ganz für uns allein. Der sachte Rückenwind trug uns gemächlich und ganz langsam den Fjord hinein und alles was wir machen mussten waren ein paar gemütliche Halsen, da der Fjord sich mit vielen Kurven in Form einer gekochten Spaghetti ins Land schlängelte.
Ein Hindernis müssen wir heute noch bewältigen und das ist eine Hebebrücke. Paul hat heute morgen schon telefonisch die Öffnungszeiten (von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zu jeder Stunde) erfragt. Kurz vor der Brücke ruft er nochmal an. Gleich öffnet sich die Brücke aber wir haben noch ein kleines Stück vor uns. Normalerweise muss man schon direkt vor der Brücke sein, damit man sie passieren kann. Aber der Brückenwärter ist super lieb und scheint sich sehr über unsere Anrufe zu freuen. Er lässt die Brücke einen kleinen Moment länger für uns offen und wir schmeißen schnell den Motor an um Strecke zu machen. Als wir unter der Brücke durchfahren, winkt er eifrig mit seinem Hut aus seinem Fenster und strahlt uns an. Wir sind froh, dass wir es geschafft haben, da es die vorletzte Brückenöffnung des Tages war und man weiß ja nie…
Der Fjord wurde irgendwann etwas breiter und bei der ersten Möglichkeit fiel der Anker zusammen mit dem Sonnenuntergang. 53,5 Meilen: Was für ein Tag. Zuerst das spiegelglatte und weite Kattegat, wo zeitweise kein Land zu sehen war und danach der schmale und flache Fjord mit seinen Untiefen. Das alles bei strahlendem Sonnenschein und heißen Temperaturen. Was haben wir für ein Glück! Wir springen noch schnell ins „kühle“ Nass, essen noch etwas und dann fallen wir zufrieden und müde in die Koje.
Den nächsten Morgen lassen wir gaaanz gemächlich angehen. Ein ausgiebiges Frühstück in Kombination mit einem morgendlichen Sprung ins badewannenwarme Nass und der Tag kann garnicht besser starten. Am frühen Nachmittag starten wir um den Fjord noch weiter zu erkunden. Nur wenige Meilen weiter wird der schmale Fjord zu einem breiten und vorallem tiefen Gewässer. Fast schon wie ein See, bevor es am Ende des Fjords wieder etwas schmaler mit mehr Untiefen wird. Wir ziehen die Segel hoch und stellen mit Freude fest, dass der leichte Rückwind von gestern uns noch nicht verlassen hat. Gemütlich schippern wir den Fjord entlang immer tiefer ins Landesinnere.
Wir sind begeistert von der Schönheit des Fjords. Grüne Wälder breiten sich auf mehr oder weniger hohen Hügeln links und rechts am Ufer aus. Sattes Grün gepaart mit blauem Himmel und zwischendurch immer wieder bunte Häuschen. Einige dieser Häuschen waren auch eher große Villen. Immer wieder flachsten wir rum, wie schön es wohl wäre hier oder dort am Fjord zu wohnen. Am Ende des Fjords liegt die kleine Stadt Hobro, auf welche wir es abgesehen haben. Wir ankern in der Nähe der Stadt und genießen unseren Abend.
Der nächste Tag wird besonders schön denn wir bekommen Besuch. Seit Tagen stehe ich mit meiner sehr guten Freundin Nane in Verbindung, da sie einen Dänemarkurlaub mit einer Freundin plant. Als wir dann nach Anholt mit Schwedenplänen abgedüst sind, waren die Chancen sich noch zu treffen gleich Null. Aber veränderte Pläne bringen ja auch immer neue Möglichkeiten mit sich. Da wir uns gegen Schweden entschieden haben, können wir heute Nane und Malena an Bord willkommen heißen. Die beiden sind mit Nanes Bus bis zu nördlichsten Spitze von Dänemark (Skagen) gereist und gerade auf ihrem Rückweg nach Kiel. Perfekter kann es garnicht laufen. Malena hat ihre Kamera dabei und machte den ganzen Tag einige der wundervollen Fotos, die ihr gleich bestaunen könnt. Vielen Dank dafür!
Wir nutzen den Vormittag um unsere Scarlett gästetauglich zu machen. Einmal durchsaugen, abwaschen, Kissen aufschütteln, Sonnenschutz aufhängen, Badering aufpusten und die Hängematte aufhängen. So heißt man Gäste für einen Badespaßtag an Bord willkommen. Die beiden haben von der ungeschrieben Gäste-Kuchen-Regel gehört und waren lieber vorher nochmal beim Bäcker. So loben wir uns unseren Besuch. Kevin sieht man seine Altersschwäche deutlich an, als Paul die beiden Mädels vom Steg abholt. Todesmutig haben sich alle in den gebrechlichen Gummischlauch getraut, der gerade nochmal fix ein bisschen frische Luft injiziert bekommen hatte.
Es ist immernoch super warm und daher wird erstmal geplanscht. Danach Kaffee und Kuchen verdrückt, viel geschnackt und dann wieder geplantscht. Sogar die Affenschaukel wird wieder mobilisiert und so wird sich munter ins Wasser geschwungen. Mit mehr Leuten machen solche Aktionen gleich noch viel mehr Spaß. Es tut soo gut bekannte Gesichter zu sehen und sich mit Freunden zu unterhalten. So schön vertraut. Das hat mir wirklich gefehlt und ist doch nochmal was ganz anderes als der übliche Smalltalk.
Der Badespaß hat ein jähes Ende als sich der Himmel immer mehr verdunkelte und ein Gewitter anrollt. Wir haben in der ganzen Zeit an Bord erst einmal ein Gewitter miterlebt und noch keins vor Anker. Die meisten GFK- Boote haben keinen Blitzableiter und selbst wenn, schwächt dieser nur die Schäden an Bord ab, aber verhindert keinen Blitzeinschlag. Plötzlich wünscht sich selbst Paul ein Stahlboot und seinen schützenden faradayschen Käfig. Wir verkriechen uns nach drinnen, machen den Hauptschalter aus und warten. Das Gewitter zieht immer mehr auf uns zu und bald ist es über uns. Immer wieder male ich mir aus, dass wir, da wir der höchste Punkt auf dem Wasser sind, ein gefundenes Fressen für einen Blitz sind. Wir vier gucken uns verunsichert an und schnell potenziert sich unsere Angst. Bei jedem Blitz zucken wir leicht zusammen und leider fällt es uns schwer die sicheren Gastgeber zu spielen, da wir so eine Situation auch noch nicht durchgemacht haben. Aber dann rettet Nane uns alle. Sie zieht plötzlich ein kleines dünnes Buch hervor, indem ein kleiner Junge seinen himmlischen Sommer mit seiner Familie in ihrem schwedischen Sommerhaus beschreibt. Nane liest uns daraus vor mit ihrer samtweichen und ruhigen Stimme und alles scheint wieder federleicht zu sein. Jetzt denke ich an die beschrieben Marienkäfer, die entdeckten Höhlen und wie die Kinder aus dem Buch Kekse auf einer Wiese essen. Ich bin ganz und ganz umhüllt von Nanes Stimme und der wohligen Vorstellung dieser schwedischen Familie in ihrem Sommerhaus. Und dann ist es vorbei. Die Abstände zwischen Blitz und Donner werden länger und die Blitze scheinen weiter weg zu sein. Puhhh wir alle atmen einmal tief durch und ich merke wie meine Anspannung abfällt. Eigentlich mag ich Sommergewitter sehr gern aber vor Anker auf einem hohen Segelboot möchte ich meine Meinung gern anpassen. Nachdem wir den Schreck verdaut haben, treten wir wieder ins Cockpit und genießen die frische klare Regenluft. Kurz darauf sind alle wieder im Wasser als ob es nie ein Gewitter gegeben hätte.
Abends wird noch gekocht und wir lassen den gemeinsamen Tag mit einem Drink ausklingen. Kurz vor der Dunkelheit muss Kevin nochmal seinen Mann stehen und die beiden an Land bringen. Was für ein einmaliger Tag, den ich auf keinen Fall missen möchte!