Heute lag ein langer Schlag vor uns. Deswegen waren wir extra früh aufgestanden, und wurden erstmal mit einem wunderschönen Sonnengruß vor Hjelm belohnt 🙂
Der Zweimaster, der am Tag zuvor neben uns geankert hatte, lag zum Glück auch noch da. „Zum Glück“, denn von den zwei Ankern die sie gesetzt hatten, war der Heckanker offensichtlich geslippt… Tja, kommt wohl davon wenn man sein Schiff quer zur Strömung verankert. Und ja, diese Strömung war nicht ohne.
Dann machten wir uns auf, legten unter Segeln ab und wurden dabei fachmännisch von der Crew des Zweimasters beäugt. Es lief wie am Schnürchen!
Doch kaum waren alles Tuch oben, verließen wir den Windschatten von Hjelm auf Amwindkurs – und Scarlett legte sich ordentlich auf die Backe. Da das einem Teil unserer Crew so ganz und gar nicht gefiel, wurde dieser Teil auf die Luvkante verfrachtet, wo er es sich gemütlich machte – natürlich eingepickt!
Hoch am Wind ging es weiter Richtung Anholt. Wir passierten einen fetten Windpark (111 Windräder), und irgendwann ließ das Wind auch etwas nach. Plötzlich war das Leben wieder entspannt und schön 🙂
Aufgrund des entspannten Wetters, das für die nächsten Tage angesagt war, wollten wir an der Nordküste Anholts ankern, statt uns in einen überfüllten Hafen zu quetschen. An der Nordküste lag man zwar frei und offen, doch gut geschützt bei den angesagten leichten Südwinden.
Um dorthin zu gelangen, mussten wir jedoch einen erheblichen Schwenk um die Untiefen machen, die sich westlich von Anholt erstrecken. Wir hätten es wohl auch direkt an der Insel vorbei geschafft, doch in diesen unbekannten Gewässern mit viel Strömung wollten wir nicht riskieren auf eine unkartografierte Sandbank aufzulaufen.
Und dann waren wir da. Es sah schon von weitem beeindruckend schön aus. Umso näher wir kamen, umso mehr waren wir erschlagen von der Schönheit dieser Insel, dieses Ankerplatzes. Mir liegt das Wort „stunning“ auf der Zunge…
Wir werden von glasklarem Wasser, weißen Stränden und einer leuchtend roten Feuerqualle begrüßt. Wir fahren ein Ankermanöver, von dem Toni später sagen wird es sei das beeindruckendste unserer ganzen Reise gewesen: Man sah die Kette bis zum Grund, man konnte beobachten wie sich der Anker in den feinen weißen Sand grub, man verfolgte die Schatten der Wellen auf dem Meeresgrund…
Als die Maschine ausgeschaltet und alle Segel verstaut waren, sahen wir uns um und wussten: Das hier war das Paradies!
Wir konnten ja nicht ahnen, dass es noch so viel schöner werden sollte…
Erstmal vertrieben wir uns den Abend mit einer neuen – beziehungsweise wiederentdeckten – Passion: Schach!
Und hey, ganz egal wie die Partie verläuft: In diesem Umfeld macht sogar ein Remis Laune 😉
Dann begann die Nacht, und mit ihr ein Schauspiel, das diesen Abend unvergesslich machte.
Heute Nacht war Primetime der Perseiden. Ein Meteorstrom, der jährlich Mitte August am stärksten ist. Heute war sternklare Nacht, kein Wölkchen am Himmel, kein Dunst über dem Horizont, und soweit abseits von Großstädten und Straßenlaternen, weit draußen im Meer, auch ohne jegliche Lichtverschmutzung.
Eingekuschelt im Cockpit warteten wir auf den leuchtenden Schauer, und vertrieben uns die Zeit damit, in die unendlichen Weiten der hell strahlenden Milchstraße zu starren.
Dann ging es los. Erst langsam, einzelne schwache Sternschnuppen fielen im Minutentakt vom funkelnden Firmament. Dann häuften sie sich, und wir kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Einige hinterließen helle, feurig gleißende Schweife, die alles überragten was wir vorher an Sternschnuppen gesehen hatten. Andere waren weißlich blauen Blitzen gleich. Ständig zeigten wir mal hierhin, mal dorthin, ärgerten uns über verpasste Feuerkugeln, freuten uns über besonders Helle, und ließen die Eindrücke der wunderschönen Meteoriten tief in unser Gedächtnis brennen.
Als wäre das noch nicht genug, hörten wir auf einmal vom Strand her freudige Jauchzer. Etwas verblüfft witzelten wir erst noch darüber, dass sich jemand wohl ganz besonders über die Sternschnuppen freute. Doch es hörte nicht auf, und korrelierte auch nicht mit den Himmelserscheinungen. Plötzlich dämmerte es uns: das Wasser leuchtete. Aufgeregt wurde der Bootshaken rangeschafft und das Wasser neben der Bordwand aufgewirbelt. Und tatsächlich: das bewegte Wasser schimmerte deutlich blau, und wurde von hunderten funkelnder Lichtpunkte durchsetzt. Wahnsinn!!! Leuchtende Algen, Dinoflaggelaten, erhellten Scarlett’s Silhouette…
Kurz bevor wir uns in unsere Kojen verkrümeln wollten, die Köpfe voller unvergesslicher Eindrücke, wollte der Mond noch für ein fulminantes Finale sorgen, und ging blutrot und groß wie ein Feuerball über Anholt auf. Diese Bucht, diese Nacht, dieses Leben ist magisch!
„Her mit dem schönen Leben“ hatte hier funktioniert!
Ziemlich spontan beschlossen wir, noch einen weiteren Tag hier dranzuhängen. Es war einfach zu traumhaft schön.
Ich spanne die Sonnensegel auf, Toni macht ein überragendes Frühstück, und wir frühstücken extrem lecker und entspannt im Schatten mit leichtem Südwind. So kann es bleiben <3
Wir springen ins 24°C warme Wasser, wann immer sich auch nur ein Schweißtropfen auf der Stirn bildet.
Dann machen wir Kevin klar um an den Strand zu paddeln. Kevin wird hoch in die Dünen getragen, die locker hundert Meter vom Wasser entfernt sind. Der Strand ist weiß, ganz fein, quitscht unter den Fußsohlen… so muss sich Karibik anfühlen. Wer braucht schon Mittelmeer!?
Auf geht’s entlang des Strandes, Richtung Osten, wo ein mächtiger strahlender Leuchtturm uns die Richtung weist.
Aus der Ferne hatten die Dünen „normal“ hoch gewirkt. Umso näher wir ihnen jedoch kamen, umso imposanter wurden sie…
Ein paar tote Robben sahen wir leider auch, drei an der Zahl. Kein schöner Anblick, diese armen halb verwesten Viecher. Ganz ordentlich haben wir auch den Insel-Ranger angerufen, und ihm berichtet.
Die Wanderung stellte sich als wesentlich länger heraus als gedacht… 7 km zum Leuchtturm – über Sand – sind schon ein gutes Stück. Toni entschied irgendwann umzudrehen, also marschierte ich alleine zum Ostkap von Anholt.
Eigentlich ist Anholt ein Hotspot für Segler aller Nationen, doch es war nach Saison, sodass der Hafen wohl nur normal gefüllt war. Keine Ahnung – war nicht da. Hier draußen vor der Nordküste waren wir die erste Nacht die einzigen, und auch in der zweiten Nacht gesellten sich nur ein paar Yachten mehr dazu. Anscheinend waren wir hier Trendsetter, denn es wurden jede Nacht ein paar mehr. Doch keine Angst, die Küste war so lang, dass nie das Gefühl von Überfüllung aufkam.
Ein kleiner Wehmutstropfen waren jedoch die kaum zu sehenden Wellen, die wohl von der Umströmung Anholts her rührten. Das Wasser war spiegelglatt, kein Wind, und vielleicht zwei Zentimeter hohe Wellen. Doch diese reichten aus, um Scarlett immer ausgerechnet nachts richtig dolle aufzuschaukeln. So schön die Tage waren, so schlimm waren die Nächte… Ein so heftig rollendes Boot knarzt, alles (ALLES!!!) möchte sich lösen, durch die Gegend fliegen und Geräusche machen. Erst findet man sich noch wohlig in den Schlaf geschaukelt, nach einer halben Stunde fängt man an sich aktiv zu entspannen und sich einzureden dass nichts passieren kann, nach zwei Stunden regiert der blanke Hass… Morgens war der Spuk dann immer vorbei, und der Tag lockte unschuldig mit Traumwetter. Das war auf jeden Fall ein weiterer Grund, warum wir so viel chillten 😀
Genau, wir blieben dann doch noch ein paar Tage länger. Der Plan war ja eigentlich gewesen, Anholt als Sprungbrett nach Schweden zu nutzen. Ein paar Tage länger in diesem Paradies, bei traumhaften Wetter und optimalen Ankerbedingungen, könnten wir uns schon gönnen. Solche Gelegenheiten kommen nicht alle Tage! Außerdem war seit Tagen Flautenwetter und das sollte sich nicht so schnell ändern.
Im Verlauf dieser Tage diskutierten wir auch unsere weitere Streckenplanung, unseren Reiseverlauf und wann wir nach Kiel kommen wollten. Dabei merkten wir recht schnell, dass wir uns mit dem „Abstecher“ nach Schweden schnell verheben könnten – auch wenn es noch so schön dort sein sollte. Wir entschieden letztendlich gegen Schweden, und dafür für den Mariager-Fjord. Doch dazu in einem der nächsten Blogbeiträge mehr.
So war uns jedenfalls der Druck genommen, weiter zu kommen. Es war perfekt, einfache wunderschöne heiße Tage an Deck, im Schatten, planschen im Wasser, Karibik-Feeling im Badereifen, fantastisches Essen, Flautenstimmung, chillen – und Abends Schach im Kerzenlicht.
Man konnte sich hier im Paradies verlieren, die Zeit vergessen und einfach nur die Seele baumeln lassen.
Mit so viel Zeit in der Hand, fing ich an zu Angeln. Unter Scarlett hatte ich öfters ein paar Schatten vorbei flitzen sehen. Man sagt wohl, dass ein Boot von Fischen gerne als Schutz genutzt wird, sie sammeln sich darunter und verstecken sich.
Rein mit der Angel, und warten. Bei meinem Anglerglück (das sich antiproportional zum sonst üblichen #Paul-Glück verhält) würde es eine Tagesaufgabe werden überhaupt einen Fisch nur zu sehen. Doch halt, was war das!? Keine 10 Sekunden nachdem ich einen simplen Haken mit Salami zu Wasser gelassen hatte, schoss ein flinker Fisch vom Boden Richtung Haken. Ich konnte kaum Blaubeermarmelade sagen, schon hing er am Haken. Na sowas war mir ja noch nie passiert.
Ein kleiner schillernder Fisch mit blauen Brustflossen und einem großen Maul. Sowas hatte ich noch nie gesehen! Hübsch war er, und verglichen mit der Fanggröße von Dorsch leider viel zu klein. Mit einem dicken Handtuch fing ich ihn ein, befreite ihn vom Haken und entließ ihn in die Freiheit. Das Handtuch war mein großes Glück, wie sich gleich herausstellen würde. Denn eine kurze Recherche ergab sehr schnell, dass ich den giftigsten Fisch Europas am Haken hatte: ein Petermännchen.
Uff, das war pures Glück. Ein Stich sorgte wohl mindestens (!) für mehrere Stunden unerträglichen Schmerz, üblich waren Schwellungen über mehrere Tage, und krankenhausreife Fälle waren anscheinend gar nicht mal sooo selten. Achso, und es sterben auch Leute am anaphylaktischen Schock… Ups!
Da stand jedoch auch, dass die Dänen das Fleisch des Petermännchens sehr schätzen. Man müsse nur die wenigen giftigen Stachel entfernen, und schon verwandelte sich der Fang in einen zahmen schmackhaften Gaumenschmaus.
Ich glaube, Toni hätte sich gewünscht dass ich die Info zur Schmackhaftigkeit überlesen hätte 😀 Denn mein Anglergeist war geweckt, und bewaffnet mit ganz dicken Gummihandschuhen und mehreren Lagen Handtuch machte ich mich wieder auf die Jagd. Und während sie halb traumatisiert weiter nach den Folgen eines Stiches recherchierte, zog ich einen Fisch nach dem anderen aus dem Wasser, schnitt die Stacheln ab und filetierte ihn dann. Das Angeln an sich war ein Heidenspaß, weil diese kleinen Biester wirklich äußerst gefräßig waren. Sie bissen auf alles, egal ob Kartoffel oder Blinker. Sie vergruben sich im Sand, und durch das glasklare Wasser konnte ich genau sehen wie der Köder ihnen näher kam. Auf langsames Vorbeiziehen reagierten sie besonders aggresiv, und schossen gleich mit mehreren heran. Meine Aufgabe war dann nur noch, den Haken zu dem fettesten zu manövrieren und ein paar Sekunden zu warten. Zack!
Aus irgendwelchen Gründen wurde das Anbraten mir überlassen… Nagut, die Stacheln waren zwar ab, doch trotzdem strahlten die Filets eine ehrfurchterbietende Atmosphäre aus. Leider hatten wir wohl die falsche Zubereitung gewählt, denn trotz ihres fantastischen Anblicks auf dem Teller waren sie eher fad – und man verbrachte Jahre mit dem Entfernen der Gräten, nur um dann ein paar Mikrogramm Fisch zu essen…
Damit sind alle zu erzählenden Geschichten von Anholt erzählt, und wir genossen den letzten Sonnenuntergang vor dieser traumhaften Insel. Am nächsten Tag würde Kurs West gesetzt werden, Richtung Mariager-Fjord.