Raus aufs offene Meer wollen wir heute, raus aus Aspö. Es ist Rückenwind angesagt, kann das sein!? Tatsächlich mal Wind, der uns anschiebt, und gegen den wir nicht ankämpfen müssen? Wahnsinn…
Das wollen wir nutzen und legen recht früh ab. Es läuft, Ilvy springt sofort an, wir sausen dahin, das Wasser rauscht um uns herum. Wir steuern, genießen und lesen einander Walter Moers‘ „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ vor.
Bei der Ausfahrt aus dem Sund von Karlskrona kommt uns eine StenaLine Fähre entgegen. Wir winken ironisch gestimmt der Brücke entgegen, wohl wissend dass die uns eh kaum wahrnehmen werden. Weit gefehlt! Es mag an unserem Quietsche-Enten-ähnlichen Erscheinen liegen, oder daran, dass der Kaffee auf der Brücke der „Stena Estelle“ heute morgen ausnahmsweise mal seinen Namen verdient, sodass der Steuermann trotz seiner verquollenen, müden Augen wirklich mal was auf dem Wasser vor sich sieht… Doch kurz nach unserem Winken grüßt uns dieser fette Dampfer mit einem freundlich-bestimmten „Tröööööööt“. Toll 🙂
Ja, und dann sind es auch nur noch knapp 10 Seemeilen. Mit unserer aktuellen Durchschnittsgeschwindigkeit von 5-6 kn sehen wir in weniger als zwei Stunden herrlichstem Segeln schon Land voraus.
Nach einer abenteuerlichen Hafeneinfahrt, vorbei an schroffen Felsen, betonierten Molen, bedrohlichen Unterwasserhindernissen und rostigen Tonnen laufen wir in ein sehr friedliches Hafenbecken ein.
Willkommen auf Utklippan!
Der kleine Hafen – eigentlich nur ein Schutzhafen – wurde vor einigen Jahrzenten auf diesem kleinen felsigen Außenposten in den Fels gesprengt, damit sich Fischerboote bei schlechtem Wetter hier verstecken können. Heute liegen hier meistens Yachten, und um diese Jahreszeit ist es auch noch fast leer. Es gibt hier außer einem Plumpsklo auch nicht viel – außer natürlich einer atemberaubend schöner Natur, moosbewachsenen Felsen, Vögel, Robben, alte verfallende Leuchtturmwärterhäuschen… Kaum angelegt, steigen wir in eines der kostenlos zur Verfügung stehenden Ruderboote und schippern auf die andere Seite von Utklippan.
Wir können die Schönheit dieses kleinen Idylls nicht begreifen. Es geht einfach nicht… Wie kann es hier so schön sein? Wie!?
Kaum zurück an Bord müssen wir erstmal durchatmen. Es gibt Fika, ganz nach schwedischer Tradition mit Kaffee und Giflar. Verdauen, begreifen, innerlich bestaunen. Dabei stricken und knüpfen.
Außerdem bauen wir zum ersten Mal mein selbstgenähtes Sonnensegel auf. Das ist beinahe komplett aus übriggebliebenen Resten des Segel-Näh-Projektes entstanden, nur die GFK-Stangen haben wir gekauft. Und da es jetzt auch noch so prima funktioniert, ist das alles ganz toll und wir freuen uns über den angenehm kühlen Schatten im Cockpit. Das mag ein bisschen verrückt klingen, aber nach einem ganzen Tag draußen in der Sonne, egal ob beim Wandern oder beim Segeln, brauchen wir einfach Ruhe von der Sonne. Sich dabei immer nach unten ins Boot zu verkriechen wird unserer traumhaften Umgebung einfach nicht gerecht, dann lieber unterm Sonnenschirm im Cockpit!
Hier im Hafen tummeln sich außer uns heute noch zeitgleich vier bis fünf Segelyachten. Dank unseres gelben Lappens kommen wir mit so ziemlich allen ins Gespräch, die meisten sind begeistert, manche eher skeptisch. Schade eigentlich, dass wir niemanden von ihnen zu einem Probesegeln mitnehmen können…
Am Abend ein weiteres Highlight: Grillen mit Meerblick. Hier sind oben auf den Felsen ganz hyggelige Feuerstellen hergerichtet, und sogar Feuerholz liegt bereit – das alles einfach so, kostenlos. Wow, wer kümmert sich darum? Die Schweden wissen wohl, was im Leben wichtig ist. Wir auch, und so gibt’s erstmal was leckres vom Rost.
Mensch, das schmeckt. Toll, dass man den Omnia-Ofen auch auf dem Grill nutzen kann. Wir haben Strick- und Knüpfzeug dabei, und genießen den Ausklang des Tages beim Sonnenuntergang. Später gesellt sich noch ein Paar einer deutschen Yacht dazu, und eine junge Frau einer tschechischen Yacht, ganz ungezwungen, ganz normal. Wir erzählen, hören zu, tauschen uns aus, auf Deutsch, auf Englisch, mit den Händen.
Da ist es wieder, das Langfahrt-Segelgefühl, in dem Nationalitäten egal sind. Uns eint die Demut vor dem Meer, das Bewusstsein, dass wir vor dem Wind und dem Wetter, den Wellen und dem Wasser nur ganz klein sind, die Neugierde zu erfahren, was sich hinter dem Horizont verbirgt, müde Knochen, Sonnenbrand und das Gefühl von aufkommender Seekrankheit, der Geruch von Algen, Sprit und Sommerregen, das erleichternde Gefühl von Sicherheit, wenn man nach einem harten Tag auf See im Hafen den letzten Kopfschlag belegt, die Anspannung und Angst bei aufkommenden Gewittern, versüßt mit Abenteuerlust, Einsamkeit und schier grenzenloser Freiheit.
Am nächsten Morgen sind sie alle weg. Wir haben entschieden hier noch einen Tag zu verweilen, und entsprechend lange ausgeschlafen. Damit sind wir wohl die einzigen. Ab heute Mittag soll es regnen und gewittern, entsprechend früh sind die anderen geflüchtet. Wir nicht. Wir haben einen frisch eingebauten Blitzableiter an Bord, genügend Wasser und Vorräte – und die Insel nun für uns.
Dann geht’s auch schon bald los mit dem Regen. Einfach herrlich, es prasselt und plätschert, wir sitzen unterm Sonnenschirm im Cockpit oder unter Deck, und genießen. Wie schön kann es sein!?
Mein kleines Knüpfprojekt wird fertig: eine Blumenvase zum Aufhängen aus einer leeren Gin-Flasche, verziert mit türkischen Bünden und einem Hohenzollernknoten. Auch bei Toni geht’s voran mit dem Stricken. Ich find’s echt faszinierend, was sie da zaubert!
Abends zocke ich noch eine Runde mit Lasse „Enshrouded“. Ein tolles Gefühl, dass wir über diese große Distanz auf diese Art Kontakt halten. Eine schnelle, ruckelfreie Verbindung von diesen einsamen, schroffen Felsen nach Dithmarschen – so absurd dass das funktioniert. Währenddessen erlebt Toni einen weiteren Traum-Sonnenuntergang auf den Felsen.
Gen Abend laufen dann wieder ein paar wenige Segelyachten ein. Eigentlich alle von ihnen sind plätschnass, und nicht nur ihre Klamotten triefen. Da müssen dann im Hafen schonmal die Segel zum Trocknen aufgehangen werden, bevor sie unter Deck verstaut werden können. Mal wieder sind wir froh, dass all dieser Hustle nun mit unserem Dschunkensegel passée ist.
Morgens wollen wir früh los. Ich hänge noch schnell im öffentlichen Aufenthaltsraum unseren Vereinsstander zur Flaggenparade der anderen Boote. Jetzt weht hier auch der Wimpel des EWSK.
Dann können wir eigentlich ablegen, oder? Während ich ein letztes Mal das süße kleine Plumpsklo des Hafens benutze, höre ich eine Yacht einlaufen. Dann aufgeregtes Männergeschrei. Kaum aus dem Häuschen raus, sehe ich die Ursache:
Eine Yacht liegt quer in der Hafeneinfahrt. Eine schnittige, schnelle Charteryacht. Sie sitzt fest, auf dem felsigen Boden, treibt durch den Wind quer und jagt ihr fragiles Ruderblatt auf die Steine am Ufer. Hat mit ihren 2,5 m Tiefgang versucht, in diesen Hafen mit 2,5 m angegebener Tiefe einzulaufen… Nacheinander kommen sie wie die 7 Zwerge von Bord, laufen in einer Reihe an uns vorbei, nennen ihre Namen und schütteln uns die Hände. Nur der Skipper bleibt an Bord.
Wir helfen wo wir können, gemeinsames Tauziehen inklusive.
wow. das gab bestimmt Entenpelle als die Stena Line getrötet hat…
Nellas Sonnenuntergangsfoto ist sooo schön. 🙂
Deine Blumenvase ist dir sehr gut gelungen Paul- und Nella: wenn du weiter so schnell strickst, reicht die Wolle nie bis zum
Ende eurer Fahrt.
Bin gespannt wie ihr die Yacht befreit und ob sie danach noch fahren kann.
Liebe Grüße gen Norden (Herz) (Herz)
Hej Claudi, ja es war (und ist) alles sehr spannend hier 🙂
Fühl dich gedrückt von uns beiden!
Antonia & Paul
Hallöchen ,dann werde ich mich mal einreihen in dien Kommentar!
Was für eine schöne Zeit die ihr da habt und gemeinsam erleben könnt.
Wenn Nella noch irgendwo Wolle ergattern kann gibt es ja vielleicht für die Tante ein paar dicke Socken gegen die kalten Füße.
Würde mich freuen:)
Weiterhin immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel!
Und in Erwartungshaltung freue ich mich auf das nächste Abenteuer von euch .
LG Beate
Hi Beate,
Wie schön dass du uns folgst und mitliest! Da unser Boot immernoch eine halbe Tonne Zuladung nur durch gehortete Wolle – die alle schon für irgendwelche Projekte vorgesehen ist – beladen ist, sehe ich da aktuell wenig Spielraum für weitere Socken 😅 aber wer weiß…
Bis bald,
Antonia & Paul
We enjoy following you… and we enjoy so much the way you write. We taste all the adventures and pleasures!!
We are waiting already for a few days in Stege… to hard westwinds now to go through to smållandsfahrwasser, 😁.
Liebe Grüssen
Peter en Annemiek
Hej you two, we are happy that you like to read our rubbish 🙂
Hopefully the wind will shift, and you can sail into that beautiful area again! Are you getting in a hurry by now, or are your time schedules still relaxed?
All the best!
Antonia & Paul
Endlich seid Ihr schön „lazy“…gut so!
Feines Fancywork hast Du da gemacht. Gefällt.
Genießen!
Aye, wird gemacht! 🙂