Am Morgen nutzen wir die Zeit für die üblichen Hafenanlegenheiten: Wasser, Müll und nochmal frische Lebensmittel vom ICA. Dann legen wir ab aus Gräddö, während die nächsten interessierten Boote schon um unsere frei werdende Box kreisen. Der Hafen ist ziemlich beliebt und eine geeigneter Absprung für die Åland-Inseln. Diese liegen zwischen Schweden und Finnland und sind viel besprochen. Auch wir haben immer wieder gesagt, dass wir da vielleicht hinsegeln wollen. Aber aktuell zieht es uns nicht dorthin. Irgendwie ist es überall schön und wir verziehen uns lieber in unbelebte Ecken oder in den kleinen, schmalen und langen Fjord, den sich Paul schon vor Tagen ausgeguckt hat.
Die Sonne brezelt auf uns herab. Heute wird es heiß. Ich würde am liebsten jetzt schon in einer Ankerbucht dem Bade- und Plantschspaß nachgehen anstatt bräsig zu segeln. Hier in den Gewässern vor Gräddö bietet sich das leider nicht an. Keine geschützte Bucht, dafür aber unzählige kleine und große Motorboote.
Um die Vorfreude zu steigern möchte ich schonmal meinen famosen glitzernden Schwimmreifen aufpusten. Den gibt es an Bord schon seit unserer Reise mit Scarlett und ich habe auf ihm das Kattegat auf Anholt genossen. Auf dieser Reise kam er leider noch nicht zum Einsatz, aber heute ist der Tag. Ich spüre es! Aber wo war er noch gleich? Wir sind beide überfragt…
Der Wind lässt gerade etwas nach und so ist ein kurzes Baden mit Festhalten an der Badeleiter drin, während Paul weitersegelt. Die Abkühlung und das Gefühl durchs Wasser zu gleiten tut so gut. Meine Lebensgeister kommen zurück und mein Ehrgeiz ist geweckt. Wo ist nur mein Schwimmring? Ich zerlege den Innenraum unserer Ilvy. Ich krame in den entlegensten Schaps, wühle in den Tiefen der Bilge und fachsimple parallel mit Paul über mögliche Verstecke. Wir haben doch so ein kleines Boot, wie kann sich da etwas so gut verstecken? Ich bin nicht zu bremsen und putze sogar viele der abgesuchten Stellen. Paul will mich von so sinnvollen Aufgaben natürlich nicht abhalten und segelt uns deshalb fleißig weiter Richtung Osten zum engen Fjord. Irgendwann finde ich ihn. Natürlich an einer Stelle, die wir ausgeschlossen hatten, weil wir uns ganz sicher waren, dass er da nicht ist. Man kennt‘s. Das Gute an der ausgiebigen Suche sind die geputzten Schaps und wiederentdecktes Schnitzholz, dass ich im April in der Bilge verstaut und dann vergessen habe.
Kurz nachdem ich den Schwimmring aufgepustet und an die Reling gebunden habe, sind wir an der Einfahrt zum Fjord angekommen. Die Seekarte gibt hier 2,5 m tiefes Wasser an. Um uns langsam ranzutesten und bei einem möglichen Auflaufen wenig Geschwindigkeit zu haben, nehmen wir unser Segel komplett runter. Lautlos und nur angetrieben vom Rückenwind gleiten wir über die Stelle. Es ist zwar flach und eng, aber wir kommen ohne Probleme durch. Diese Bremsstrategie haben wir in der Schärenwelt schon öfter genutzt. Wenn uns eine enge Durchfahrt nicht geheuer oder ungewiss vorkam, haben wir unser Segel soweit verkleinert, bis wir eine angenehmes Schneckentemp erreicht haben. Ich finde den Vergleich mit einem Gaspedal beim Auto da sehr passend. Wird es unübersichtlich oder brenzlig, runter vom Gas. Nach der Engstelle setzen wir wieder das volle Segel und gleiten bei Rückenwind durch den 5,5 Seemeilen langen und schmalen Fjord.
Im Fjord ist es ganz nach unserem Geschmack. Hier ist es ruhig auf dem Wasser, links und rechts bestaunen wir gemütliche schwedische Sommermomente an den Häuschen und Stegen und wir gleiten lautlos dahin.
Doch mir ist nicht nach Ruhe. Ich bin heute im Aktionmodus. Also wieder rein ins Wasser und hinterher ziehen lassen. Für den Schwimmring sind wir leider zu schnell, aber unsere Wickie hält das aus. Ich mache es mir in unserem Beiboot gemütlich und genieße die Aussicht auf Ilvy und meinen Liebsten. Der Wind ist etwas böig und so erlebe ich eine spannende Abwechslung zwischen Kaffeefahrt und Wildwasserrafting. Etwas später reicht mir Paul mein Strickzeug. Jetzt könnte ich ewig im Schlauchboot bleiben und Stricken. Herrlich!
Wir gleiten unter einer 18 Meter hohen Brücke hindurch und vorbei an einem Hafen mit auffälligen vielen gleichen Yachten. Eine kurze Recherche sagt, dass hier die bekannten schwedischen Linjett-Yachten gebaut werden. Das erklärt, warum so viele davon am Steg liegen.
Am Ausgang des Fjords verholen wir uns in die erste passende Ankerbucht. Die ist klein und nicht ausgewiesen. Entsprechend ruhig ist es… bis wir ein lautes andauerndes Zischen hören. Beide fahren wir vor Schreck zusammen. Irgendwas ist geplatzt. Mein erster Gedanke: oh nein mein Schwimmring! Zweiter Gedanke: oh nein, Wickie. Doch ein kurzer Blick zeigt, dass beide noch prall gefüllt und mopsfidel auf dem Wasser schwimmen. Pauls Gedanken haben sich nicht voller Schreck um meinen Schwimmring gedreht und so kommt er schneller als ich auf die Schwimmwesten. Wir haben Automatikwesten, bei denen eine Gaspatrone bei Feuchtigkeit oder einem Aufprall auf dem Wasser auslöst und die Schwimmweste in Sekundenschnelle aufplustert. Scheinbar wurde es einer der beiden zu feucht in der Backskiste und sie hat ausgelöst. Richtig ärgerlich! Wir haben zum Glück noch mehr an Bord und daher stellt der Vorfall kein Sicherheitsrisiko dar, aber die Wartung ist nicht günstig. Wir nehmen uns vor die Gelegenheit zu nutzen und mit ihr schwimmen zu gehen. Sie mal anzulegen und zu erfahren wie es sich im Notfall im Wasser mit ihr anfühlen würde.
Nach dem kurzen Schreck fahren wir fort mit dem Sommerprogramm. Sonnensegel aufspannen, Kaffee kochen und ins Wasser springen. Jetzt natürlich mit Schwimmring. Der Such-Aufwand hat sich gelohnt. Ich liebe es den Schwimmring mit einem langen Seil am Boot zu befestigen, mich auf ihn zu setzen und mich mit schnellen Umdrehungen zum Boot zu ziehen bis mir schwindelig wird. Dann Richtungswechsel. Das erinnert mich sehr an unsere tollen Tage auf Anholt. Eingemurmelt in unsere Surfponchos schlürfen wir den heißen Kaffee und essen Wassermelone. Was für ein perfektes Sommergefühl.
Beflügelt von diesem Gefühl mach ich mich über das wiederentdeckte Rohmaterial zum Schnitzen her. Es sind alte Leisten eines Boots aus Teakholz die im Hafen weggeschmissen wurden. Ich hab sie im Frühjahr eingesammelt, mit der Absicht daraus noch etwas zu machen. Teakholz ist hartes, hübsches und wertvolles Tropenholz und ist viel zu schade für den Müll. Die bereits flache Form eignet sich hervorragend für Kochlöffel oder Salatbesteck. So säge ich die grobe Form aus der Leiste und beginne auch schon mit dem Schnitzen der detaillierten Form. Das trockene und feingemaserte Holz lässt sich so viel entspannter und detaillierter schnitzen als das Frischholz mit dem ich bisher Erfahrung gesammelt habe. Schicht um Schicht schabe, schnitze und ritze ich vom Holz. Es macht so einen Spaß, dass ich in einen richtigen Schnitzrausch verfalle. Unbedingt möchte ich das Schmuckstück heute noch fertig bekommen. Als ich mit der Form zufrieden bin, schleife ich mein Werk noch etwas ab und dann kommt der effektvollste Schritt: das Ölen. Gerade bei Teak ist es wie Magie und lässt die wunderschöne Holzfarbe aufblühen.
Fertig! Ich platze vor Stolz und bin so fasziniert ein Ding erschaffen zu haben. Beim Stricken mache ich das ja auch ständig und liebe das Gefühl etwas Selbstgemachtes zu tragen. Dennoch fühlt sich das hier anders an. Immer wieder nehme ich den Pfannenwender (oder erstes Teil eines Salatbestecks) in die Hand und fühle seine schöne Form in meinen Händen.
Wir bleiben noch einen weiteren Tag in dieser Bucht. Schreiben Blog, basteln, schwimmen, essen, atmen…was wir halt gerade so machen. Am Nachmittag kommt ein Ruderboot mit einem alten Mann vorbei. Er war früher Segelmacher und aufmerksame Leserinnen und Leser wissen, was jetzt kommt. Er hat uns von weitem erspäht und musste sich das Dschunkensegel unbedingt angucken. Es folgt ein interessiertes Gespräch unter Experten mit sehr detaillierten Fragen. Nach einem Blick auf meinen glitzernden Schwimmring, fragt er, ob wir Kinder an Bord haben. „Nö das ist meiner“ entgegne ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Die Gitzer-Sommer-Sonnen-Laune schwappt beim Lesen auf jeden Fall über! 🙂
Schön, dass ihr es euch so kreativ und gut gehen lasst! Liebe Grüße
Schön, dass die Sommerlaune auch bei dir ankommt 🙂