… das ändert alles. Zumindest ich für meinen Teil hätte damit überhaupt nicht gerechnet. Doch macht euch selbst ein Bild davon:
Ziemlich müde und kaputt von der schaukeligen Nacht, gönnen wir uns am Morgen in Landsort ein kurzes Frühstück im Cockpit, bevor es losgehen kann. Noch einmal bewundern wir diese wunderschöne, karge, mondlandschaftige Szenerie. Hier ist es irgendwie ganz einzigartig. So schroff, rau und felsig, ganz anders als in den oft so grün bewaldeten Schären unserer bisherigen Route.
Toni schlägt vor, heute trotz auflandigem Wind in unsere kleine Bucht, unter Segeln von der Boje abzulegen. Gestern beim Anlegen an der Boje unter Segeln haben wir ja auch schon eine kleine Kreuz hingelegt – dank des ersten vermasselten Versuchs. Also dann, hoch das Tuch, Bojenleine los, und rauskreuzen. Das ist einfach herrlich entspannt.
Tschüss, kleine Boje! Mit noch etwas müden Knochen dank der schaukeligen Nacht verlassen wir unsere kleine Bucht und folgen dem Fahrwasser Richtung Landsort Hauptinsel. Wir kreuzen durch enge Passagen, die auf beiden Seiten von stark abfallenden Felsen begrenzt sind. Der Himmel begrüßt uns mit ganz seltsamen Wolkenformationen.
Dann erreichen wir unseren Durchlass, an dem wir auf die freie Ostsee abbiegen können. Tschüss Landsort, tschüss Amwindkurs. Ab jetzt mit halbem Wind davon düsen!
Hier war noch alles gut, wir zu zweit am Segeln, ein tolles Team… Wir überqueren die Bucht vor Södertalje, und fliegen einfach dahin. Auch Toni ist noch mit Feuereifer dabei. Noch. Sie steuert einen Großteil dieses Abschnitts…
… doch schon bald ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Sie lassen schwere Zeiten erahnen!
Wir segeln bald wieder im geschützteren Schärengarten. Hier sind die Wellen weg, aber der Wind noch da. Ein Traum zum Segeln! Aktuell kreuzen wir ständig unser Fahrwasser von vor ein paar Wochen. So auch heute. Uns fällt plötzlich auf, dass wir auf dem Weg in den Norden an einem süßen, kleinen Café mit eigenem Steg – mitten in den Schären, auf Svärtsö – vorbei kamen. Damals wollten wir weiter und haben nicht angehalten. Heute haben wir alle Zeit der Welt, und die dunklen Wolken voraus scheinen uns zuzustimmen: Eine kleine Pause hier, zur Stärkung und zum Regen durchziehen lassen, ist genau das Richtige! Also legen wir zünftig an, nach allen Regeln der Kunst mit dem Heck zum Wind.
Ja, und dann gönnen wir uns nichtsahnend einen kleinen Spaziergang über die Felsen der Bucht, bevor wir zum Café schlendern wollen. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf…
Keine 3 Sekunden nach dem Titanic-Foto passiert es: Toni dreht sich, um das Lotsenhäusschen genauer zu betrachten. Sie liest gerade noch die Lettern „L“ und „O“, dann rutscht ihr linker Fuß von einer unauffälligen Felskante ab. Ihr Knöchel knickt nach außen weg, viel weiter als er es sollte. Sehr viel weiter. Im nächsten Augenblick sehe ich meine geliebte Toni schreiend auf den harten Stein hinabsinkend. Sie ist kaum ansprechbar, kann minutenlang nicht aufstehen. Scheiße.
Nach und nach lässt der Schmerz nach, langsam kann sie sich aufsetzen. Wir sitzen hier lange, beide mit Tränen in den Augen, während Toni vorsichtigst versucht ihren Fuß zu bewegen. Es klappt, behutsam in alle Richtungen, aber unter Schmerzen. Gerissen scheint nichts zu sein, wir haben auch den typischen Knall eines Bänderrisses nicht gehört.
Sie schafft es, sich ganz langsam aufzustellen und, auf mich gestützt, ganz behutsam zum Café in 200 m Entfernung zu humpeln. Dort besorge ich Eis für den Knöchel – und Eis fürs Gemüt. Ach man… Toni hat Schmerzen, ist aber auch hingerissen von der Schönheit dieser Umgebung.
Wir überlegen und überlegen. Toni entscheidet sich gegen einen Krankenwagen/Krankenboot/Notaufnahme, weil sie ja zumindest noch langsam laufen konnte. Nach dem Kaffee und Eis entschließen wir, sie wieder an Bord zu bringen. Langsam und humpelnd schafft sie es zurück zu Ilvy. Dort mache ich es ihr gemütlich, und arrangiere unseren Salon so, dass sie ihren verletzten Knöchel hochlagern kann. Dann noch einen Druckverband gegen die Schwellung. Soweit die Erste-Hilfe-Maßnahmen zu einem verstauchten Knöchel, PECH-Maßnahmen genannt, die wir auf die Schnelle im Internet recherchieren können. Jetzt liegt sie dort bequem und fürs erste schmerzfrei. Doch ihre Gedanken rennen, und meine auch: wie kann es jetzt weitergehen? War es das gewesen mit dem Götakanal, der Reise, dem Segeln?
Erst einmal vereinbaren wir, dass ich uns heute alleine weiter zu unserem Tagesziel segle – sozusagen einhand. Dort ist es sehr geschützt, und wir wollten dort eh die windigeren nächsten Tage aussitzen. Eigentlich perfekt zur Knöchel-Genesung.
So machen wir es auch. Mal wieder sind wir beide unglaublich dankbar für unser fantastisches Dschunkensegel. Heute kann es so richtig seine Langfahrt-Vorteile auspielen: es ist extrem simpel in der Bedienung, und ohne weiteres nur durch eine Person zu bedienen. Ein fettes Plus an Sicherheit! Was ansonst schon ganz nett ist, rettet uns heute den Tag. Toni kann sich unter Deck ausruhen und ihren Fuß schonen. Sie weiß genau, dass ich da draußen alleine klar komme, selbst bei aufbriesendem, böigen Wind, heranbrausenden Gewitterwolken und Felsen ringsum.
Wo ich sonst so gerne kritische Passagen auf Abenteuerkurs durchpflüge, sehen meine Prioritäten heute ganz anders aus: Krankentransport! Wenig Schräglage, wenig Risiko, dafür maximaler Komfort unter Deck. Ich reffe gefühlt bei jeder zweiten Böje, und bringe uns sicher und unbeschadet in die Bucht von Ringsön. Auch das Ankermanöver gelingt auf Anhieb, der Haken sitzt bombenfest im Meeresgrund.
Wir können durchatmen.
Die nächsten Tage ist Schonen für Toni angesagt. Sie tut mir sehr leid, kann zwei Tage nur herumliegen und auf Besserung warten. Schmerzen hat sie leider einige, vorallem wenn sie ihren Fuß bewegt. Noch dazu kann sie nichtmal die grandiose Natur um uns herum bewundern. Dazu Bewegungsmangel und bedrückende Aussichten für unsere Reise… Da wird man völlig verständlicherweise auch das ein oder andere Mal ungenießbar. Ich halte sie so gut es geht bei Laune, zeige ihr Fotos von all der Schönheit um uns herum und bekoche sie mit Köstlichkeiten. Das hilft.
Außerdem nutzen wir die Zeit zum Lesen, Schreiben, Arbeiten. Ein besonders unangenehmes Projekt wartet auf mich, dem ich mich nun intensiv widme: Wir haben nicht nur ein Knöchel-Problem, sondern auch eins mit unseren Batterien. Nach nur kurzem Laptop-Laden meldet unser Inverter „Unterspannung“ – also Batterien leer. Unser Solar-Ladegerät sagt aber: volle Batterien. Um Spannungsverluste durch schlechte Kabelverbindungen auszuschließen, löse ich jedes Kabel zwischen Batterien und Endverbrauchern, säubere die Verbindung und schließe alles wieder mit ordentlich Krafteinsatz an. Der kurze Test mit Laptop am Anschlag (kleine Runde zocken), was ca. 18 A aus den Batterien saugt, lässt nach kurzer Zeit wieder die Spannung einbrechen. So ein Mist, die sind anscheinend so richtig leer. Das tut ihnen gar nicht gut. Wie kann das sein!? Ärgerlich, ein ganzer Tag Arbeit, inklusive pures Chaos an Bord.
Letztendlich stellt sich heraus, dass unser Solarladeregler – obwohl hochwertig von Victron gekauft – wohl etwas falsch verstanden hatte: Er hat einfach schon „voll“ gemeldet, und automatisch abgeschaltet, obwohl „voll“ noch voll weit weg war… Einfluss hatte sicherlich auch, dass ich blöderweise die Ladekurve standardmäßig auf normale Starterbatterie statt AGM-Batterie hab stehen lassen. Das dürfte nicht so viel ausgemacht haben, aber hat sicherlich auch dazu beigetragen. Nun sind unsere beiden Batterien also leerer als leer. Um sie zu retten, lädt der Solarladeregler jetzt schon seit Tagen mit manueller Ladekurve auf sozusagen „Überspannung“. Das sollte man nicht dauerhaft tun, aber zum Batterie-Retten taugts: wir haben nun schon wieder über 55% drin, das sind 40% mehr als die Ladeautomatik reingepumpt hätte. Tendenz steigend. All ist well! (zumindest was die Technik an Bord angeht)
Tonis Knöchel geht’s am dritten Tag auch schon deutlich besser: die Schwellung nimmt leicht ab, und sie kann aufstehen. Lange stehen geht noch nicht, doch es geht immerhin aufwärts. Ich unterhalte sie wo es nur geht!
Um sich abzulenken, zaubert Toni ein unfassbar leckeres Knoblauchbrot in unserem Omnia-Backofen. Das erfordert beinahe mehr Geduld als beim Knöchel-Heilen-Lassen, dank unseres eher dürftig mit Leistung ausgestatteten HPV Salsa Spirituskochers. Doch hey, als das Warten ein Ende hat, kann sich das Ergebnis sehen lassen!!!
Ansonsten hat Toni ja auch das ein oder andere Hobby im Gepäck, mit dem sich die Zeit selbst immobil im Sitzen totschlagen lässt. Ihre Schnitz-Skills nehmen definitiv fortgeschrittenere Züge an 🙂
In der nächsten Folge von „Toni und Paul und Ilvy und Wickie“ verlassen wir diese traumhafte Bucht von Ringsön. Wann wird Toni wieder laufen können? Trauen wir uns in den Götaland-Kanal? Es bleibt ein Abenteuer!
Jetzt hab ich Pipi in den Augen, Paul. Sooo lieb kümmerst du dich um deine geliebte Toni. Da geht mir einfach das Herz auf.
Die Buttermesserevolution ist mega… sozusagen eine Kaputter-Fuß-Buttermesser-Evolution.
Ich würde euch Heilmagie senden, wenn ich welche kennen würde. So kann ich nur die Daumen drücken.
Ich glaube ihr fahrt in den Kanal- ganz bestimmt schafft ihr das.
Das ist lieb von dir, Claudi!
Wir schauen einfach wie es sich entwickelt, wird schon alles irgendwie 🙂
Oha! Die klassische Verletzung in Schweden…hätte man auch auslassen können!
Hochlegen, hochlegen, hochlegen – konsequent. Kühle nasse Umschläge aber nicht eiskalt.
Besorgt Euch Tape (oder habt Ihr was dabei?). Kreuzweise zum Stillegen des Gelenkes.
Götakanal ist natürlich blöd mit Bänderdehnung – man muss ständig auf Stege hinauf- oder hinuntersteigen und dann die Schleusen hochlaufen.
Der Käufer von ATROPOS hat schön blöd geschaut als er Krücken im Heck „gefunden“ hat. „gehören auf jedes Seeschiff“ war meine Standard-Antwort…
Liebe Toni, ich wünsche Dir sehr schnelle Linderung und Besserung! Aber ein paar Tage konsequentes Stillegen wäre am besten…
We tend to forget that the wonderful junk rig was originally designed for safe, single-handed sailing. Now it is coming into its own and poor Toni can concentrate on getting better, without feeling guilty that her accident has spoilt your cruise. It is quite lovely to see how your cherish her, Paul.
Fortunately you are young and fit and the ankle will soon heal. Just don’t rush things!
Instead of a laptop, I used a fairly large tablet and a Bluetooth keyboard. It can do almost anything that a laptop can and uses a fraction of the electricity!
Thank you 🙂 we hope so too, it will be alright. The most difficult part will be to not rush things, indeed!
Yeps, that would be more efficient in terms of energy consumption. When being in Iceland for several months, I went even further and used smartphone plus BT keyboard. Worked sufficient, I was even using Excel on this setup. However, the small screen was a little difficult… Even a „standard“ thinkpad Laptop would do better. I brought my high-performance machine onboard, which I bought for video-cutting, 3D design and CAD work… It is really powerful, yet hungry. After two hours of only writing, it needs the plug. However, this I had at hand, and wanted to get along with which I have instead of buying more stuff.
Ach miste, das hätte ja nun wirklich nicht sein müssen :‘( Ich wünsche Toni schnellste Besserung und euch beiden, dass ihr eure Reise auf möglichst chillige und trotzdem glücklich machende Art fortführen könnt!!!