An diesem verträumten, frühen Morgen verlassen wir Paskallavik, diesen magischen Ort der mich verzaubert hat. Am Horizont erwacht die Sonne, taucht die Wolken in stählernes Grau und den Himmel in dreckiges Gelb. Zusammen eine unfassbar schöne Szenerie!
Wir legen komplett ohne Motor und nur unter Segeln ab. Dazu nutzen wir den „Pfeil-und-Bogen-Effekt“: Wir lagen ja mit dem Bug zur Pier und dem Heck an der Boje. Dazu wird die Heckleine so weit dichtgeholt, dass die Boje fast untertaucht und dadurch ordentlich Spannung aufgebaut wird. Fiert man nun blitzschnell die Vorleinen, und macht dadurch in einem Wimpernschlag den Bug vom Pier lose, dann katapultiert einen die Boje über die Heckleine nach hinten raus. So, wie ein Flitzebogen einen Pfeil abschießt. Diesen Effekt haben wir nun schon einige Male beim Ablegen beobachtet, doch jedesmal mit Motorunterstützung.
Nun also mal ohne. Und es gelingt, fast wie am Schnürchen (die Vorleine hat sich leider kurz verhakt, deswegen war der Effekt etwas geringer als gedacht). Wir schießen achteraus – also eher langsames Gleiten – und als die Boje querab ist, klinken wir einfach die Heckleine von ihr ab und sind frei. Da wir wie ganz selbstverständlich mit unserem Dschunkenrig auf allen Kursen Segel setzen können, brauchen wir jetzt nur noch am Fall zu ziehen und in Richtung Ausfahrt aus dem Hafen gleiten.
Es klappt, macht einen Heidenspaß und fühlt sich gleichzeitig sehr lässig und entspannt an. Dabei werden wir noch von der Crew der Sommerwind geknipst: Toll!
Heute ist ein Amwind-Tag angesagt, mit ordentlich Puste. Auf dem Weg aus den Schären heraus bewundern wir mal wieder Ilvy’s Höhe am Wind, und schaffen sogar Wendewinkel von ca. 80-90°. Das ist grandios! Zugegeben, es herrschen perfekte Bedingungen, also glattes Wasser und 4 Beaufort, aber trotzdem: Ilvy ist der absolute Beweis dafür dass sich eine moderne Dschunke wegen ihrer Amwind-Eigenschaften nicht verstecken muss – ganz im Gegenteil!
Während wir so durch die Inseln Richtung Ausgang zum Kalmarsund schieben, kreuzt ein fetter Frachter unseren Weg. Hier treffen sich zwei alternative Segelkonzepte auf dem Wasser: Ilvy mit ihrem Dschunkenrig, und der Frachter mit einem Flettner-Rotor auf dem Bug. Dieser rotierende Zylinder wirkt dank des Magnus-Effektes wie ein Segel, und hilft bei der Propulsion des Schiffes. Toll, wenn die moderne Schifffahrt sich auf die Nutzung des Windes besinnt, und sei es auch nur zur Unterstützung der Hauptmaschine und Spritersparnis! Leider mussten wir feststellen, dass der Flettner-Rotor dort nicht drehte, also nicht in Betrieb war. Das war dem Kapitän wohl doch zu nervenaufreibend, hier im engen Fahrwasser mit seinem dicken Pott zu „segeln“…
Anfangs ist er schneller als wir – klar. Doch je näher wir an seinen offensichtlichen Zielhafen herankommen, umso mehr Gas nimmt er raus. Am Ende müssen wir beinahe Reffen, um ihm nicht auf sein grünes Heck aufzufahren.
Danach heißt es für uns und Ilvy: raus auf die Ostsee! Passenderweise nimmt der Wind nochmal eine ordentliche Mütze zu, wir schätzen auf 6 Beaufort. Das ist schon sehr viel Wind. Doch wir reffen einfach, zack zack, und fliegen mit Höchstgeschwindigkeit am Wind weiter.
Dies sollte nur ein Vorbote für diesen Tag sein. Nachdem wir die Inselwelt verlassen haben und durch den letzten Fjord in Richtung der Konferenzinsel Dämman gesegelt sind, geben sich erst einmal Starkwind und Flaute die Hand. Dazu Regenschauer, Sonne, Regenschauer, Sonne. Nix wie rein ins schützende Ölzeug mit darunter liegendem, wärmenden Islandpullover. Ahhhhh, gemütlich!
So eingepackt, fliegen wir dahin. Der Wind nimmt immer weiter zu über den Tag, am Ende sind es ca. 25 kn (6 Bft). Stark gerefft zieht Ilvy am Wind davon, und wie! Hin und wieder begegnen wir anderen Schiffen, die meisten so ab 40 Fuß aufwärts. Geschwindigkeitsmäßig haben wir da am Wind keine Chance mitzuhalten, Länge läuft eben, doch mit einer guten Portion Genugtuung bemerken wir, dass unsere Höhe am Wind niemand unterbieten kann* – und das bei dieser eklig kabbeligen Kalmarsundwelle von vorne!
(*alle außer eine schnittige Yacht mit schwarzen Karbon-Kevlar-Segeln.)
Es läuft heute prima. Toni liegt größtenteils unter Deck, schützt ihren Fuß vor den heftigen Wellen und reicht mir ganz liebevoll Essen, während ich im Regen stehe und mal wieder Krankentransport spiele. An diesem Tag reffe ich 16 Mal ein und wieder aus, einhand, bei Starkwind, in ekliger Welle. Dank der Dschunke komme ich dabei nicht mal ins Schwitzen.
Irgendwann passieren wir endlich die Kalmarsundbrücke. Der Wind hat deutlich abgenommen, und wir kreuzen gemütlich durchs enge Fahrwasser bis hinein in den Hafen von Kalmar. Natürlich werden wir dabei wieder mal von allen Seiten fotografiert und staunend gefilmt – leider diesmal ohne Kontakte und Fotomaterial auszutauschen.
Kalmar! Was für ein Tag. Müde und k.O. schnacken wir noch mit ein paar interessierten und interessanten Segelnden, bevor wir in die Koje fallen. Hier bleiben wir erstmal einen weiteren Tag.
Diesen „freien“ Tag nutzt Toni zum erneuten Stadt-Erkunden und Wolle-Shoppen. Ich glaube sie war erfolgreich 🙂 Ich hingegen nutze die Ruhe an Bord, verkrieche mich im Schatten um am Laptop zu sitzen und genieße es, mich voll Entwicklungsarbeit zum Thema Dschunkenrig zu widmen.
Nachmittags treffen wir uns zu einer gemeinsamen Fika in der Stadt, in einem süßen, kleinen Eiscafé. Das Eis hier übertrifft so einiges, was wir bisher in unseren Leben an Eis kosten durften. Mal wieder verstehen wir nicht, warum in Deutschland nur italienisches Eis gehypt wird. Ja, das ist sehr lecker, doch schwedisches Eis kann da locker mithalten. Hier in Schweden haben wir auch noch keinen einzigen italienischen Eisladen gesehen, nur alteingesessene oder zumindest tiefschwedische Manufakturen. Das Eis ist einfach ein Traum hier! Wir wählen: dunkles Schokoladensorbet, helles Schokoladensorbet, Yukuna (oder so ähnlich. Schmeckt wie Zitronengras), Himbeere, Blaubeere.
Hier in Kalmar treffen wir auch auf Guido von der Playmobil, einer Breehorn 37. Er ist sehr interessiert an unserem Rig und hört sich alles ganz genau an. Als er jedoch anfängt von seinen eigenen Segelerlebnissen zu erzählen, fällt uns anderen einfach nur die Kinnlade herunter: gebannt, wie kleine Stöpsel, hängen wir an seinen Lippen, als er uns Fotos seiner Durchsegelung der Nordwestpassage zeigt, die er gemeinsam mit Erich Wilts unternommen hatte. Wow!
Als wir am nächsten Morgen ablegen, segelt uns kurze Zeit später die Playmobil hinterher. Auch hier zeigt sich: wir laufen exakt (!) die gleiche Höhe wie sie, nur sind wir naturgemäß aufgrund der deutlich geringeren Länge Ilvy’s etwas langsamer. Offensichtlich ist Guido begeistert von unserem Rig, und freut sich, dieses eher seltene Rig mal live zu sehen. Es werden Kameras gezückt und Fotos geknipst.
Zum Fotoaustausch kamen wir zwar bisher noch nicht, doch sobald es soweit ist, sind da sicherlich ein paar richtig schöne Aufnahmen dabei. Und: ich könnte mir vorstellen dass diese gemeinsame Segelerfahrung von Ilvy und Playmobil einen bleibenden Eindruck bei Guido und seiner Crew hinterlassen hat. Es ist doch etwas anderes, wenn einem jemand was von all den Vorteilen der Dschunke am Hafen erzählt – oder man das mal live in Aktion sieht. Wir können es uns natürlich auch nicht nehmen lassen, mit DEM weiteren Vorteil der Dschunke anzugeben: vor staunenden Augen reffen wir ein und wieder aus – in Sekunden!
Der Rest des Tages wird eher unspektakulär. Wir müssen kreuzen, und haben zum Glück nur eine recht kurze Strecke nach Mörbylånga vor uns. Der Wind ist nicht zu stark und nicht zu schwach, sodass wir schon bald in die Hafeneinfahrt gleiten.
Hier gönnen wir uns einen kleinen Spaziergang durch das gemütliche Örtchen und die angrenzende Küstenlandschaft. Alles richtig schön hier! Und oh, wir bitten zu vermerken: hiermit haben wir auch der Insel Öland einen Abstecher gegönnt.
Den Nachmittag lassen wir in einem kleinen urigen Kaffee ausklingen. Hier kann Toni ihre Strickliebe weiter ausleben, während ich mich zu Kaffee und Kanelbullar aus dem Fenster träume.
Weiter geht’s am nächsten Morgen, sobald sich der Nebel verzogen hat. Eigentlich wollten wir echt früh los, deswegen klingelt der Wecker auch schon vor Sonnenaufgang. Doch in diese Suppe will ja niemand freiwillig rein, also erstmal gemütlich Frühstück und Warten.
Dann geht’s los. Noch im Hafenbecken setzen wir Segel und gleiten geräuschlos aus dem Hafen.
Und dann? Kaum raus aus dem Hafen, setzt bleierne Flaute ein. Wir dümpeln, dümpeln, dümpeln. Es ist zwar wie Magie, dass Ilvy selbst in absoluter Windstille mit 1 kn vorwärts fährt, doch trotzdem sind solche Flauten äußerst nervenaufreibend. Es kommt wie es kommen muss: der obligatorische Flautenstreit! Doch kaum ist wenig später der Wind zurück, liegen wir uns wieder in den Armen und alles ist vergessen. Harmonie pur. Was ist das nur, was in einer Flaute die Nerven so dermaßen blank liegen lässt, dass schon ein nicht ordentlich verstautes Marmeladenglas wie ein ernstzunehmender Trennungsgrund wirkt?*
*Für die mitlesenden Elternteile und Verwandten: es ist alles gut, ich habe vielleicht etwas zu dramatisch formuliert :-*
Erst können wir wieder ganz gut segeln und Strecke machen, dann, kurz vor unserem Ziel in Kristianopel, schläft der Wind schon wieder ein. Da es schon echt spät ist, wir durch sind und überhaupt, wagen wir beschämt etwas das wir sonst tunlichst vermeiden: wir werfen den Motor an und motoren, um unser Ziel zu erreichen. Sonst versuchen wir eigentlich immer, mit dem Wind zu gehen und den Willen der Natur zu akzeptieren. Das bedeutet dann eben auch mal, nicht sein gestecktes Tagesziel zu erreichen sondern vorher abzudrehen, Flauten auszuhalten, sich zur Ruhe zwingen zu lassen. Doch heute nicht!
Wir laufen in den kleinen, süßen Hafen von Kristianopel ein, werden freudig von einem holländischen Plattbodenschiff begrüßt und helfen bei einem mutigen Hafenmanöver einer gelben, großen Metallyacht mit. Dann geht’s auf zum gemütlichen Erkundungsspaziergang. In der anbrechenden goldenen Stunde ein Traum! Doch seht selbst, was Kristianopel so zu bieten hat:
Das war‘s, bis zum nächsten Mal!