Es war soweit: Der Rhein ruft.
Da ich dringend noch etwas für die Arbeit machen wollte, habe ich mich frühmorgens auf den Drahtesel geschwungen und bin Richtung Duisburg Innenstadt um ein freies WLAN abzugrasen. Kein einfaches Unterfangen, wenn man sich dafür zuerst durch die Hafengebiete und Vororte schlagen muss, natürlich ständig mit gezücktem Handy in der Hand, bereit zuzuschlagen. Petri Heil gab es nicht auf meiner Jagd. Erst am Rathaus von Duisburg fand ich free Wifi. Was für eine tolle Gelegenheit, die hässlichste Stadt, die ich jemals gesehen habe, zu erkunden…
Zurück am Boot gab es erstmal Frühstück. Die Bootsnachbarn schauten vorbei, inkl. Hafenmeister, und erklärten uns, wie man sich auf dem Rhein so fühlt. Besonders der urige Hafenmeister hat uns einige hilfreiche Tipps gegeben: man muss nicht rechts fahren, sodass man sich immer in den Innenkurven aufhalten kann und so bis zu einem Knoten an Fahrt mehr macht. Die Idee, sich abschleppen zu lassen, fand er gar nicht abwegig. Allerdings hat er schon lange keinen mehr gesehen der das gemacht hat. Aber er wünschte uns alles Gute!
Aber jetzt: Der Rhein ruft!
Wir also raus aus dem Hafen bei schönstem Sonnenschein und rein ins Getümmel. Nach den ersten zehn Minuten nervöser Anspannung machte sich ziemlich schnell Entspannung breit. So schlimm war es gar nicht. Klar, der Rhein schob mit 3 Kn gegenan, sodass wir nur mit 2,5 – 3 Kn vorwärtskamen. Doch er war breit, und die dichten Vorbeifahrten von größeren Kähnen und Schubverbänden waren wir ja nun schon zu Genüge aus den Kanälen gewohnt.
Das Anstrengendste war tatsächlich das langsame Vorankommen… Wenn man weiß dass man eigentlich doppelt so schnell wäre, quält es einen wenn man so dahin kriecht. Selbst Fußgänger haben uns teilweise überholt. „Nach Feierabend“, wenn wir das Steuerrad endlich loslassen konnten, ist immer wieder eine enorme Anspannung von uns abgefallen.Bei schönstem Herbstwetter ging es rheinaufwärts.
In Krefeld wartete ein süßer kleiner Hafen in eigenem Hafenbecken auf uns. Wir haben am Kopfsteg ganz außen festgemacht und fühlten uns in dieser idyllischen Bucht sehr wohl. Nach kurzem Irren haben wir den Hafenmeister gefunden, er hat uns auch das Wlan-Passwort verraten: Irgendwas mit Alligator drin… Nett war er trotzdem, und hat uns erstmal zum Oktoberfest im Clubhaus an diesem Abend eingeladen. Die Leute dort waren nicht ganz unser Alter, deswegen haben wir es uns mit einer eigenen Flasche Rotwein vorm Hafenmeisterhäusschen gemütlich gemacht, das Wlan genutzt, gearbeitet, weitere Anschaffungen recherchiert und die laue Spätsommernacht genossen 😊
Als ich dann morgens – wie immer zum Sonnenaufgang – zur gewohnten Paul-Aufsteh-Zeit aus der Koje gehüpft bin, sind draußen die Fische beim Jagen aus dem Wasser gesprungen. So richtig aus dem Wasser raus, Forellen oder Hechte oder sowas. Haie waren sicher auch dabei! Nach 5 Minuten Staunen mit offenem Mund wollte ich dann doch mal mein Glück versuchen. Im Halbschlaf alles zusammengesucht und aufgebaut, und gewartet. Naja, das Paul-Glück bezieht sich eindeutig auf andere Tätigkeiten… Mal wieder nix. Doch ich war eigentlich ziemlich froh, hatte nämlich an diesem Morgen überhaupt keine Lust auf die dann zwangsweise folgende Sabberei. Nagut, weiter nach Düsseldorf.
Dort war in einer winzigen künstlichen Bucht ein kleiner Yachthafen angelegt, alles sehr süß und anscheinend seit kurzem weniger frequentiert. Ob das an der kalten Jahreszeit liegen könnte? Nagut, aber Strom und Wasser und Duschen gab es zum Glück noch. Das Anlegemanöver war leider nicht süß, ganz und gar nicht. Wir haben uns an den ersten Steg außen rangelegt, bei spiegelglattem und ruhigem Wasser. Dachten wir. Also ran da, schön lässig, ganz entspannt Leinen vorne festmachen, fehlt nur noch hinten. Doch halt, warum treibt Scarlett’s hübscher Arsch so schnell weg vom Steg? Oh oh! Ich war schon auf dem Steg, konnte sie jedoch nicht mehr halten, sie zog einfach zu stark mit ihren über fünf Tonnen. Shit! Auf der anderen Seite lag ein kleiner Ponton mit Pavillon und spitzen Ecken, die anfingen die Zähne zu fletschen. Aarrgh! Ich hechte also über den Steg, dann über den Quersteg und auf den Ponton. Toni versucht in der Zwischenzeit den Bug vom Quersteg abzuhalten. Als ich an der zähnefletschenden, bösen Ecke des Pontons ankomme, ist Scarlett noch einen halben Meter entfernt und denkt nicht dran zu bremsen. Ich stemme mich mit aller Kraft gegen sie, doch kann nicht verhindern, dass sie den Ponton küsst. Und zwar so leidenschaftlich, dass sich der Rumpf an der Stelle ein gutes Stück einbeult. Plötzlich ist der Spuk vorbei und sie ruht wieder ganz normal. Ich schiebe sie weg vom Ponton, und auch die Beule verschwindet. Trotzdem unschönes Gefühl, ob das GFK das wegsteckt? Doch mir bleibt kaum Zeit zum Grübeln, denn plötzlich schiebt das Heck wieder wie aus dem Nichts zurück an den Steg. Oha! Steuerbord ist zwar abgefendert, doch trotzdem hechte ich zurück auf den Steg. Toni schreit in der Zwischenzeit, dass der Bug auf den Quersteg treibt. F**k! Zusammen schaffen wir es, ihn wegzudrücken; das Delphinstag hatte trotzdem Kontakt. Doch das war zum Glück glimpflich ausgegangen. Scarlett lag plötzlich wie von Zauberhand wieder dort wo wir sie eigentlich haben wollten. Also rauf da, schnell die Mittelklampe mit einer Achterspring belegt und die Achterleine auch. Jetzt war sie fest. Und keine Sekunde zu früh, denn schon spürte man, dass ihr Heck wieder auf Kuschelkurs mit dem ungeliebten Ponton gehen wollte. Die Leinen knarzten, aber hielten. Endlich etwas Entspannung für uns. Nach einem tiefen Blick in die Augen und nervösem Lachen, machte sich Unglauben breit über das was gerade passiert war. Wie konnte das sein? Kein Wind und spiegelglattes Wasser… Da sahen wir es: Das Wasser strömte Scarlett quer an. Einfach so. Unfassbar. Und dann von der anderen Seite. Und dann kam es uns: Immer, wenn draußen auf dem Rhein ein Schiff vorbeifuhr, drückte es Wasser in den Hafen, und zog es danach wieder heraus. Und klar, wenn Scarlett von der Seite Strom kriegt, halten wir sie nicht mehr… Fest vertäut konnten wir uns das Schauspiel ganz genau anschauen: Hinter Bug und Heck bildeten sich richtige Kehrwässer und Wirbel im Wasser, so dermaßen stark schob das Wasser in den Hafen. Verrückt! Und nachdem der ganze Schock verdaut war begriffen wir, dass dies auch eine Lektion war, selbst bei augenscheinlich ruhigen Bedingungen wachsam und ordentlich zu sein.
Zur Belohnung des Tages sind wir noch eine Runde auf dem Rheindamm spazieren gegangen. Links und rechts von uns wurden gerade die Gemüsefelder geerntet, es roch dramatisch nach Kohl, Lauch und Sellerie. Die Versuchung, einfach in der Dämmerung etwas Gemüse zu retten, war seltsamerweise da… Doch das ging uns dann doch zu weit. Ehrlichkeit währt am Längsten!
Am nächsten Morgen haben wir endlos lange morgens noch das WLAN genutzt, um Anschaffungen zu recherchieren und zu bestellen. Dann war es plötzlich nach 12. Düü düümm… Nach einem Blick auf die Karte war recht schnell klar, dass wir heute nicht mehr losfahren brauchten. Cool, Pausentag! (Der natürlich zu einem Einkaufs- und Reparaturtag ausartete). Wir haben uns auf unsere Drahtesel geschwungen und sind nach Düsseldorf rein. LTE Flat, Verpflegung und ein spezielles Kabel für unsere Funkantenne waren zu besorgen. Das Kabel deswegen, da wir durch den gelegten Mast keine Funkantenne angeschlossen hatten. Die Idee war, die Antelle an einem Besenstiel festzumachen und mit einem kurzen Adapterkabel anzuschließen, um wieder ordentlichen Empfang zu haben. Wir haben nur die Verpflegung bekommen. Tja, um den Tag noch zu retten haben wir uns abends die Zeit genommen dem leidigen Lichtmaschinen-Problem Herr zu werden. Denn sie lud nicht die Batterien. Und außerdem funktionierte das Motor-Bedienpanel nicht, weswegen wir den Anlasser bisher mit einer Schere kurzgeschlossen haben. Nach über drei Stunden Kabel durchmessen, Schaltpläne abgleichen und innovative Schimpfworte erkunden, fanden wir den Fehler: Das Massekabel der Lichtmaschine war dermaßen durchgemodert, dass kein Saft mehr am Panel und der Batterie ankam. Quick & Dirty Fix: Kabelschuh abpetzen und neuen, viel zu kleinen Kabelschuh auf nur die Hälfte der Adern klemmen. Mangels passendem Schuh muss das erstmal halten, bis wir was richtiges besorgen können. Und tadaaa: Sowohl das Panel als auch das Batterieladen funktioniert wieder. Oh man waren wir glücklich, gleich zwei Probleme auf einmal gelöst! Endlich waren wir strommäßig unabhängig und nicht gezwungen, spätestens jeden zweiten Abend in einem Hafen zu verbringen. Was wir auf dem Rhein dennoch taten, aber trotzdem: Es geht ums Prinzip!
Weiter geht’s nach Leverkusen. Die Kilometer kriechen nur so vorbei, was wir hier in drei Tagen schaffen, surrte in den Kanälen ohne Gegenstrom an einem an uns vorbei…
Dort haben wir an einem winzigen Schwimmsteg festgemacht, der zu einer kleinen Hafenanlage gehörte. Es war alles Menschenleer und verbreitete etwas Endzeit-Stimmung. Hatte irgendwie was von „Waterworld“. Da der Steg noch halb in der Hauptströmung des Rheins lag, war das Anlegemanöver ein echtes Abenteuer. Ganz knapp gingen wir mit dem Bugspriet am Nachbarboot vorbei, und haben gerade so in die einzige freie, enge Box gepasst. Erstmal aufatmen. Sie lag dort gut vertäut, und ihr Heck ragte ungeschützt in den Rhein. Das war schon etwas gruselig. Wir konnten uns Abends nicht zurück halten, bei jedem dicht vorbeifahrenden Pott bestürzt aus dem Fenster zu schauen.
Am nächsten Tag sollten wir in Köln einlaufen. Lange haben wir auf diesen Moment hin gefiebert, es war wie eine große Erleichterung dieses Etappenziel zu erreichen.
In einem richtig großen (aber unverschämt teurem) Hafenbecken haben wir mal wieder den einzigen freien Platz bekommen. Was haben wir für ein Glück! Dort hat uns ein sehr sympathischer Herr in seinen besten Jahren beim Anlegen geholfen. Endlich jemand, der von unserer Reise nicht völlig baff war. Er lebt selbst auf seinem Boot, fährt im Sommer nach Skandinavien und verbringt den Winter hier in Köln. Interessanter Typ!
Köln haben wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Es war noch genug Zeit für einen ausgiebigen Stadtspaziergang, bevor wir Abends Caro, die ehemalige Mitbewohnerin von Toni treffen wollten. Die Stadt hat ihren ganz eigenen, beeindruckenden Charme, der uns faszinierte. Schließlich haben wir uns dann noch auf ein fixes Kölsch in einem Brauhaus niedergelassen, und das geschäftige Treiben bestaunt. Der Abend mit Caro war richtig schön und gemütlich, bei ordentlich Risotto und Weißwein an Bord 😊
Am nächsten Morgen nochmal schön heiß geduscht, und weiter Richtung Bonn. Wir hatten es etwas eilig an genau diesem Tag dort anzukommen, da ich die Ersatzteile für das Funkgerät in den Bonner Conrad bestellt hatte. Die ungeduldigen Biester wollten abgeholt werden. Also los!
In Bonn selbst gab es keinen Hafen. Dafür kurz davor in Hersel. In einem Telefonat mit dem Hafenmeister wurde uns auf ganz liebe Art und Weise gesagt, dass wir dort kostenlos im Sinne der „Freundschaft auf dem Wasser“ liegen dürften. Toll, nochmal ein großes Dankeschön! Der Hafen lag am oberen Ende einer Aue. Wir also rein da vom unteren Ende aus, stets in der Hoffnung dass noch genug Wasser unterm Kiel bleibt. Das Herz bleibt schonmal stehen, wenn man bei 3 Knoten Gegenströmung auf die Logge schaut, und die Zahlen fallen und fallen… 3,5m; 2,9m; 2,5m; 2,3m; 2,0m; 1,9m; 1,6m; 1,5m; 1,5m; 1,4m; 1,5m; … Bei unserem Tiefgang von ca. 1,4m!!! Nagut, Scarlett passierte diese Schreckensstelle mit Bravour, und weiter oben in der Aue wurde es dann auch wieder etwas tiefer. Am Steg hatte es immerhin 1,9m. Der Strom in dieser Aue war jedoch noch so stark, dass wir im Standgas leicht rückwärts getrieben sind. Also Anlegen bei Viertel-Gas um die Höhe zu halten. Beeindruckend und beängstigend. Vor allem: Als wir dann fest vertäut waren, schob Scarlett noch eine solche Bugwelle vor sich her, obwohl wir ja am Steg lagen. Krasses Gefühl, richtig mulmig. Zur Beruhigung haben wir alle Klampen und Leinen belegt die wir finden konnten.
Nun musste nur noch der edle Drahtesel an Land, damit ich in die Bonner Innenstadt radeln konnte. Nur leider war das Stegtor abgeschlossen. Unser alter Freund Kev the Almighty musste ran, und hat uns mal wieder nicht enttäuscht. Das hat er eigentlich noch nie (!).
Ich bin am Wasser nach Bonn geradelt, und hab dadurch die Hälfte der Strecke vom nächsten Tag in einer halben Stunde gerissen. Deprimierend :-D! Aber sehr schön und idyllisch. Conrad ließ dem Bastlerherzen nichts zu wünschen übrig, sodass es schon stockduster war bis ich zurückkam. In der Zwischenzeit hatte ich schon einige verzweifelte Nachrichten meiner mutigen Toni auf dem Schirm: „Es ist so dunkel hier“, „Es ist gruselig hier“, „Fahr schneller bitte“, „Habe jetzt alle Lichter ausgemacht damit niemand sieht dass ich hier an Bord bin“. Oha! Also nochmal richtig rein in die Eisen. Als ich ankam, war es tatsächlich ausgesprochen stockfinster. Ich hatte ausgewachsene Probleme den Steg wieder zu finden. Im Boot war es dann richtig gruselig… Ach ja, heute war übrigens Halloween!
26.-31.10.2019