#34 Raus aus dem Trubel

Die Tage in Stockholm sind vorüber, unsere Stunden hier unter der Brücke gezählt. Nein, wir sind nicht obdachlos geworden – unsere Anlegestelle in Stockholm liegt nur einfach unter einer sehr hohen Brücke.

Toni meistert ein kompliziertes, beengtes Ablegemanöver mit Bravour und schon tuckern wir Richtung Schleuse. Offiziell sind wir nämlich noch im Mälaren. Durch die eine Schleuse soll’s nun raus und zurück in den Stockholmer Schärengarten gehen.

Der Weg zur Schleuse gestaltet sich noch einmal zu einem letzten Sightseeing, diesmal vom Wasser aus. Die Sonne strahlt, es weht ein leichter Luftzug, die Stimmung ist top. Wir reihen uns nach und nach in die lange Karawane aus Yachten ein, die die nächste Schleusung erwischen wollen. Nach ein bisschen Wartezeit vor den Toren geht es los, rein in die Schleuse.

Wir sind gewohnt, dass man in einer Schleuse mit Vor- und Heckleinen festmacht oder zumindest zwei Leinen auf die Mittelklampe legt. Warum wir das gewohnt sind? Weil wir auf unserer Reise mit Scarlett 2019-2020 etwas mehr als 400 verschiedene Schleusengänge erlebt haben. Doch man lernt ja bekanntlich ein Leben lang dazu: hier gibt es kurze, blaue Stricke zum Festhalten. Unsere Leinen anlegen? Fehlanzeige. Man hält sein Boot nur von Hand selbst fest. Beruhigend, dass das hier alle so machen und es scheinbar total normal ist? Klar! Beruhigend, dass auch die tonnenschwere 60-Fuß Motoryacht hinter uns nur durch die dünnen Ärmchen des klapprigen, alten Skippers davon abgehalten wird, unsere Ilvy zu zermalmen? Weiß ich nicht… Währenddessen brummelt es auf Schwedich irgendwelche Befehle durch die Lautsprecher, und kein einziges der Schilder hier ist auf Englisch. Auch die stillschweigenden Schleusenwärter, die mit an langen Stangen heruntergereichten EC-Kartengeräten hier die Kollekte einsammeln, sind keine wirkliche Hilfe. Ach quatsch, ich übertreibe die Dramatik, alles wirklich easy hier. Sommer, Sonne, gute Laune, und wir kommen mit den Booten vor und hinter uns schnell ins Gespräch – die für uns auch Schilder und Lautsprecher-Gekrächze übersetzen. Man ist ganz begeistert von unserer Reise, der vielen Zeit und natürlich dem gelben Segel.

Bei der Ausfahrt aus der Schleuse spürt man deutlich den Urlaubsdrang der Crews auf den umliegenden Booten. Kaum fällt der erste Lichtstrahl durch den Spalt des sich vor uns öffnenden Schleusentores, schon lassen alle sofort ihre Stricke los und legen den Hebel auf den Tisch. Oha! Na, die werden schon wissen was sie da tun. Irgendwie klappt es dann auch, dass sich alle ohne Kratzer dicht an dicht nach draußen quetschen. Wir bleiben schön gemächlich hinten, und als wir das Tor passieren ist es dann auch wirklich ganz offen.

Nach einem kurzen Kanalstück geht’s endlich wieder raus in die Fjorde.

Er steuert sein Boot einfach per Joystick auf seiner Fernbedienung, während er an Deck in der Sonne bräht.
Direkt an der Kanalwand wird geklettert. Da blitzen meine Augen 🙂

Eine letzte Klappbrücke, und schon sind wir draußen. Hier ist es ein bisschen wild: viele Motorboote, Segelboote, und vor allem verdammt schnelle Fähren düsen kreuz und quer durch die Weltgeschichte. Entsprechend ist das Wasser aufgewühlt. Aber: es ist auch eng, und windig – also warum nicht Segel setzen, denke ich mir (und warte insgeheim auf den Tag, an dem Toni wahnsinnig mit mir wird 🙂 ).

Nein, im Ernst, wir empfinden die Ausfahrt aus Stockholm als äußerst schön. Selbst unter Segeln beim Gegenankreuzen. Das ist zwar fordernd und benötigt unsere ganze Aufmerksamtkeit, aber trotzdem ist es traumhaft. So manche segelnde Crew, die wir in den letzten Monaten getroffen haben, hat sich sehr abfällig über all die Motorboote und die von ihnen erzeugten kabbeligen Wellen rund um Stockholm geäußert und uns eindringlich davor gewarnt. Jetzt haben wir es erlebt, sind sogar hier gesegelt wo die meisten nur schnell durchmotoren. Unsere Meinung? Leben, und leben lassen. Wer will es den Stockholmern verdenken, dass sie den Wassersport auf ihren so pitoresken Gewässern genießen – egal ob mit Segel- oder Motorboot. Wer sind wir, uns über „überfüllte“ Fahrwasser zu beschweren, wo wir doch selbst als Gäste in diesem schönen Land sind und zur „Überfüllung“ beitragen!? (Und dabei finden wir es noch nicht mal überfüllt. Nichts im Vergleich zur deutschen Küste oder der dänischen Südsee im Hochsommer). Und ganz nebenbei: 90% der Motorboote verringern ihre Geschwindigkeit deutlich, wenn sie uns passieren, obwohl sie auch mit 30 kn an uns vorbei düsen dürften. Aus Anstand, um die uns treffenden Wellen zu verringern. Tack så mycket! Vielen Dank!

Hejdå, Stockholm!
Auf den Felsen rund um Stockholm wimmelt es von sonnenliebenden Badegästen.

Im Laufe des Tages nimmt der Wind immer weiter ab. Mit dem letzten Lüftchen schleichen wir in eine kleine Bucht im Nordosten von Stockholm. Direkt an der Bucht vorbei führt eine der Hauptschifffahrtswege nach und von Stockholm, sodass wir einige große Schiffe vor Anker aus der Nähe beobachten dürfen.

Am nächsten Tag geht’s weiter nach Nordosten. An diesem Punkt der Reise haben wir noch nicht entschieden, wie weit es für uns noch in den Norden gehen soll. Aber die Entscheidung wird fallen, bleibt gespannt!

Da ich heute mal wieder eine Panoramaroute – aka engste mögliche Passagen – ausgewählt habe, ist die Stimmung am beben. Der Wind nimmt endlich mal zu, und Ilvy fliegt wieder. Um in eine besonders enge Einfahrt zu segeln, die direkt in Lee liegt und uns also nur einen Versuch lässt (bevor wir auf die Felsen rauschen), reffen wir vor dem Wind einfach easy peasy auf nur ein Panel herunter. Mit immernoch 3 kn schieben wir durch die Engstelle. Ach mensch, ist das geil mit diesem Dschunkenrig. Einfach vom Gas gehen wenn’s eng wird 🙂

Was nun folgt, ist ein recht schmaler Fjord, gesäumt mit malerischen schwedischen Sommerhäusern. Natürlich sind das alles Wassergrundstücke, jedes mit eigenem Steg, eigener Boje und oft auch mit eigener Yacht davor. Läuft bei euch, Schweden!

Heute Abend finden wir eine nach allen Seiten gut geschützte Bucht in gewundener Form, mit äußerst flacher und steiniger Einfahrt. Doch wir flutschen hinein, lassen den Anker fallen – und bleiben hier spontan zwei Nächte.

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